Von allen, die angespannt vor den Bildschirmen saßen und den, ja was war es eigentlich?, der Wagnertruppe um Jewegni Prigoschin verfolgten, hat nur einer mit seiner ad hoc Prognose recht behalten.
(Abzug der Wagner-Truppen aus Rostow am Don am späten Abend des 24. Juni: Fargoh, CC0, via Wikimedia Commons)
Elon Musk: „Das unterhaltsamste Ergebnis (wie es in einem Film wäre), ist das wahrscheinlichste.”
https://twitter.com/elonmusk/status/1672611045196587009
Dadurch, daß Musk der einzige war, dem an diesem Tag eine Prognose glückte, bestätigte sich seine Aussage gleich noch einmal selbst, erwies sich also als doppelt richtig. Die Populärphilosophie möge sich für die nächsten zweieinhalb Jahrtausende mit diesem Problem befassen.
Wetten waren darauf abgeschlossen worden, ob Prigoschin in 24 Stunden tot, verhaftet, oder Präsident von Rußland sein werde. Daß es 200km vor Moskau zu einem Abkommen zwischen Putin und Prigoschin kommen würde, damit hat keiner gerechnet. Es schien unmöglich, nachdem Prigoschin nicht bloß Truppen auf Moskau geführt, sondern auch die Kriegslegitimation der russischen Regierung in Zweifel gezogen, Putin hingegen die Aktion öffentlich als Verrat verurteilt und ein Strafverfahren für 20 Jahre Gefängnis gegen ihn in die Wege geleitet hatte.
Die plötzliche Einigung, die Putin, wie Prigoschin bis auf die Knochen zu blamieren scheint, läßt die meisten Beobachter fassungslos zurück. Selbst die haarsträubendsten Theorien sind zumindest psychologisch verständlich. Nichts scheint zusammenzupassen. Der Folgende soll nicht nur eine Analyse der Ereignisse sein, sondern auch eine Hilfestellung dazu, wie man mit Nachrichten umgeht, die keinen Sinn zu ergeben und nur durch die absurdesten Verschwörungen erklärbar scheinen.
Unser Problem in solchen Fällen, auch wenn wir uns dessen selten explizit bewusst sind, ist, daß gerade etwas geschehen ist, das nach unserem intuitiven Verständnis menschlichen Verhaltens und zwischenmenschlicher Beziehungen nicht möglich sein sollte. Wir alle haben ein solches intuitives Verständnis der sehr komplexen sozialen Verhältnisse, in welchen wir leben.
Ein Beispiel: Wir sehen einen Menschen in einem Gebäude mit vielen Gegenständen, er nimmt einige dieser Gegenstände und geht mit ihnen zu einem Tisch am Ausgang. Dort überreicht er einem anderen Menschen einige Blätter Papier, erhält von dem anderen einige Stücke Metall und verlässt das Gebäude.
Ein Außerirdischer, der diese Szenerie beobachtet, müsste langwierige Forschungsanstrengungen unternehmen, um zu verstehen, was hier gerade passiert ist. Ihm ginge es, wie es menschlichen Forschern mit den Interaktionen innerhalb eines Ameisenbaus ergeht, nur um so vieles schwieriger, als eben Menschen komplexere Lebewesen als Ameisen sind. Für uns hingegen ist vollkommen klar, was da vor sich geht. Die Szene spielt in einem Laden, in dem ein Kunde gerade etwas gekauft hat. Noch der dümmste unter uns kann das verstehen und braucht dafür kein Studium der Soziologie und erst recht kein Verständnis der marxistischen Werttheorie. Würde der Mensch dem Verkäufer eine Pistole unter die Nase halten und mit der Kasse verschwinden, auch dann würden wir verstehen, was hier gerade geschehen ist. Wenn nun aber etwas geschieht, was nicht in unsere intuitiven Schemata passt, dann wissen wir mit einer Situation auf einmal nichts mehr anzufangen, verlieren unsere Sicherheit und stehen kaum weniger verwirrt fragend vor der Lage, wie der Außerirdische.
Unser Problem in einem solchen Fall ist, daß wir ja bisher die Welt zum größten Teil intuitiv interpretiert haben. Fällt diese Möglichkeit weg, muß Intuition durch bewusste Theorie ersetzt werden und diese ist viel aufwändiger und vor allem anfällig für Denkfehler.
Ziel dieses Textes soll auch sein, eine Heuristik darzulegen, wie man über komplexe Ereignisse, mit vielen Unbekannten begründete Vermutungen anstellen kann, indem man die Hypothesen und Ereignisse in einzelne Abschnitte zerlegt und diese einzeln untersucht und prüft.
Nehmen wir einmal folgendes an: Bei dem Geschäft unseres Beispiels handelt es sich um einen Elektronikladen. Der Kunde wirft eine Kamera gegen die Wand und erhält vom Verkäufer einen Einkaufsgutschein. Als Zeugen dieser Szene würden wir stutzig werden. Was ist hier los? Handelt es sich um einen Geisteskranken? Möglicherweise, aber warum versucht der Verkäufer nicht ihn aufzuhalten? Die Erklärung kann aber auch folgende sein: Es handelt sich um recht stabile Actionkameras. Als Verkaufsaktion hat sich der Ladenbesitzer folgendes ausgedacht: Jeder Kunde ist aufgefordert ein Vorführobjekt gegen die Wand zu werfen. Wem es gelingt eines zu zerstören, der bekommt einen Preis. Wem dies nicht gelingt, als „Trostpreis“ einen Einkaufsgutschein. Die Handlungen der Beteiligten scheinen nicht mehr verrückt, sobald wir die Hintergründe kennen.
Das ist unsere erste Lektion: Menschen können irrational handeln, aber bis zum Beweis des Gegenteils sollten wir davon ausgehen, daß ihre Handlungen im Rahmen ihrer gegebenen sozialen Situation eine sinnvolle Handlungsoption darstellen. Das heißt nicht, daß wir von jeder Handlung annehmen müssen, daß sie besonders weise sei. Menschen treffen viele dumme Entscheidungen, aber eben dumme Entscheidungen, nicht absurde Entscheidungen. Zwischen beidem besteht ein Unterschied.
Nun, das Beispiel mit der Verkaufsaktion ist sehr simpel. Beim Anblick der beschriebenen Szene könnte uns schon der Gedanke kommen, daß hier eine solche Aktion im Gange ist und um zu prüfen, ob dies eine Möglichkeit ist, genügt es im Kopf zu überschlagen, ob die Aktion sich für den Ladenbesitzer rechnen könnte. Bekäme zum Beispiel jeder Teilnehmer eine 1000€ Kamera geschenkt, dann wäre das als Verkaufsaktion absurd.
Bei komplexen Ereignissen müssen aber viel mehr Faktoren in Rechnung gestellt werden, um zu prüfen, ob eine Hypothese zumindest plausibel ist. Unsere einzige Hilfe ist hier, die Hypothese in Abschnitte zu zerlegen, die jeweils anhand einer konkreten Frage auf ihre Plausibilität geprüft werden können
Sehen wir uns dazu einmal eine zur Zeit verbreitete These zu den gestrigen Ereignissen an: Es habe überhaupt gar kein Putschversuch stattgefunden. Stattdessen hätten Putin und Prigoschin dies alles nur inszeniert um den Westen und die Ukraine zu täuschen und in eine Fortführung der katastrophalen Offensive gegen die ausgebauten Stellungen der Russen zu locken.
Diese These wird von manchen vehement vertreten, weil sie nichts anderes glauben wollen, von anderen ebenso vehement verworfen, weil das doch absurd sei. Im Klartext: Weil es ihrem intuitiven Verständnis der Welt widerspricht. Sowas sei doch gar nicht möglich.
Ob es unmöglich sei, können wir aber nicht am Ganzen prüfen, das viel zu komplex dafür ist. Zerlegen wir also diese These, die eine ganze Reihe von Behauptungen enthält, in Einzelschritte:
1. Ist es möglich, einen Putschversuch vorzutäuschen? Die Antwort hierauf kann nur ja lauten. Außer den unmittelbar Beteiligten, die aber wiederum jeder nur einen kleinen Ausschnitt der Ereignisse zu sehen bekommen, erlebt die ganze Welt die Ereignisse bloß medial vermittelt. Die Möglichkeiten zu Manipulation sind, vor allem auf kurze Frist gerechnet, nahezu grenzenlos. Wenn behauptet wird, Wagner habe Hubschrauber und Flugzeuge der russischen Luftwaffe abgeschossen, wer solle das Gegenteil beweisen, ohne sich dafür auf Angaben des russischen Militärs stützen zu müssen? Bilder sind heutzutage beliebig manipulierbar. Seit gestern Abend macht die Behauptung die Runde, die Bilder der von Wagner abgeschossenen russischer Maschinen seien entweder gefälscht, oder aber sie seien zu anderer Zeit an anderem Ort entstanden. Wer soll das überprüfen?
2. Würde sich ein solcher Täuschungsversuch für die russische Regierung lohnen? Manche behaupten ja, daß der Ansehensverlust viel zu groß sei. Doch wenn dadurch tatsächlich der Sieg über die Ukraine errungen würde, fiele dies kaum ins Gewicht. Also müssen wir auch diese Frage bejahen.
3. Glaubt der Kreml, daß die ukrainische Kriegsführung so präzise und zuverlässig manipulierbar ist? Glaubt er also darauf rechnen zu können, daß die Inszenierung eigener interner Schwäche zu genau dem gewünschten ukrainischen Verhalten, der Fortführung der Offensive führt? Diese Frage würde ich nach meiner persönlichen Einschätzung verneinen. Wir wissen zwar, daß die ukrainische Führung hochgradig von den Wünschen ihrer amerikanischen Sponsoren abhängig ist, wir wissen auch, daß diese amerikanischen Kreise einigen hochgradig problematischen Gruppendynamiken unterliegen, welche rationale Entscheidungsfindungen erschwert, doch ich würde nicht soweit gehen, dem gesamten Entscheidungsverfahren, von den Gesprächen in washingtoner Hinterzimmern bis zum ukrainischen Generalstab eine solche Berechenbarkeit zuzuschreiben. Ich glaube vor allem nicht, daß der Kreml es tut und sich darin so sicher ist, ein solches Risiko einzugehen.
Aus diesem Grund halte ich die Theorie vom erfundenen Putsch für falsch, auch wenn ich zugeben muß, daß sie durchaus zu einer Reihe von Tatsachen passt.
Was aber halte ich für den wahrscheinlichsten Hintergrund der Ereignisse? Ich habe ja genausowenig wie sonst irgendein Publizist die Möglichkeit, die Wahrheit einzelner Behauptungen, etwa der über die von Wagner abgeschossenen russischen Flugzeuge zu prüfen. Doch ich werde nicht unter dem Eindruck des gestrigen Tages eine Gesamthypothese aufstellen um diese dann durch dieses Gerücht, oder jene Behauptung zu untermauern.
Stattdessen werde ich die Ereignisse des gestrigen Tages in zwei zeitlichen Abschnitten analysieren und jeweils die Hypothesen durchgehen.
Der erste Zeitabschnitt beginnt mit mit der Veröffentlichung eines Videos durch Prigoschin am 23. Juni, indem er nicht bloß Verteidigungsminister Schoigu scharf angriff, die russische Kriegsbegründung in Frage stellte und behauptete, Wagner sei auf Schoigus Befehl bombardiert worden, sondern ganz konkret Schoigu vorwarf, Putin in die Irre geführt zu haben. Der Krieg sei allein auf Schoigus Verlangen nach dem Marschallstitel zurückzuführen. Zu diesem Zeitpunkt, das wissen wir ebenfalls, versuchte das Verteidigungsministerium unter Schoigu, sich Wagner durch neue Verträge direkt zu unterstellen.
Als am Morgen des 24. Junis Wagnertruppen unter Prigoschin Rostow am Don besetzten, rief Prigoschin zu einen „Marsch der Gerechtigkeit“ auf Moskau auf, Forderung war die Absetzung der militärischen Führung, konkret Verteidigungsminister Schoigus und Generalstabschef Gerassimows, denen er seit Beginn des Jahres öffentlich Inkompetenz und Korruption vorgeworfen hatte, insbesondere die unzureichende Versorgung seiner Wagnertruppe mit Munition in der Schlacht um Bachmut. Die Aktion richte sich, so Prigoschin, ganz explizit nur gegen die oberste militärische Führung. Nicht gegen Putin. Sobald die Militärführung ausgetauscht sei, werde Wagner in seine Stellungen zurückkehren.
Die Behauptung, welche trotzdem sofort in den Raum gestellt wurde war: Dies sei ein Putschversuch. Prüfen wir diese These: Es ist gestern von vielen Beobachtern gleich bemerkt worden, wie absurd es allein aufgrund der Entfernung zu Moskau sei, von Rostow aus zu putschen. Ein Putsch funktioniert durch die schnelle Besetzung der wichtigen Informations- und Befehlsknotenpunkte eines Staates.
Einen Bürgerkrieg hingegen, den einige auch schon im Raums sahen, konnte Prigoschin erst recht nicht hoffen zu führen. Wie wollte er bitte mit seinen höchstens 25.000 Söldnern gegen die um ein vielfaches größere russische Armee kämpfen, während er selbst logistisch von dieser abhängig war? Das Ganze ergibt keinen Sinn, solange man es als Putsch betrachtet. Als Putschversuch also als Versuch, die russische Regierung zu stürzen, wirkt die Aktion grotesk.
Die Widersprüche lösen sich jedoch sofort auf, wenn wir Prigoschin nicht in seinen Behauptungen zu Kriegsgründen und Kriegsverlauf, aber zu seinen Zielen, die wichtiger sind, einfach beim Wort nehmen. Er wollte Putin nicht stürzen, sondern durch eine Meuterei die Auswechselung einer militärischen Führung erreichen, mit der seine Truppe offenbar seit langem Konflikte hatte. Zumindest wollte er verhindern, daß Wagner dem Verteidigungsministerium unterstellt wird. Er appellierte dabei an die oberste Führung (Putin) und die gesamte restliche Elite. Eine solche Meuterei ist etwas ganz anders als ein Putsch. Während bei einem Putsch die zentralen Stellen des Staates besetzt werden und die Regierung beseitigt wird, ist eine Meuterei eine politische Kundgebung eines Truppenteils, der sich mit seinen Forderungen an eben jene Regierung wendet. Natürlich verstößt das gegen das Militärrecht und kann aufs härteste bestraft werden, aber die Dynamik ist ein ganz andere.
Als Anführer einer Meuterei versuchte Prigoschin nicht Putin zu stürzen, sondern ihn und andere Teile der russischen Elite durch politischen und medialen Druck auf seine Seite gegen Schoigu und Gerassimow zu ziehen. Sein Ziel bestand nicht darin, Moskau zu besetzen, sondern Schoigu untragbar zu machen, damit Putin ihn fallen ließe. Anders als ein Putschversuch, war der Versuch einer Meuterei zwar gewagt, aber nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die lange Dauer des Krieges hat in Rußland harsche Kritik an der militärischen Führung laut werden lassen.
Dann kam Putins Ansprache. Er bezeichnete die Aktion als Verrat und drohte mit drastischen Konsequenzen.
Erst nach dieser Ansprache wurde aus den Reihen der Meuterer die Erklärung auf Telegram veröffentlicht, Putin habe sich falsch entschieden. Jetzt werde man einen neuen Präsidenten brauchen. Es gibt keinerlei Belege dafür, daß dieser Post auf Anweisung Prigoschins veröffentlicht wurde.
Die Stellungnahme Putins war nämlich nur ein Teil einer Front unter den entscheidenden Männern gegen Prigoschin. Neben ihr stehen die Stellungnahmen Dimitri Medwedews und General Surowikins, während Ramsan Kadyrow, der in der Vergangenheit Prigoschins Kritik der militärischen Führung oft unterstützt hatte, seine Achmat-Truppen vor der Stadt Rostow, dem Ausgangslager des „Marsches für Gerechtigkeit“ positionierte.
https://twitter.com/MSLive_aut/status/1672481737572507648g
Prigoschins Versuch eine Wendung der russischen Elite gegen Schoigu und Gerassimow zu erzwingen, war gescheitert. Am Abend kam dann die Meldung, daß durch Vermittlung Lukaschenkos ein Abkommen zustande gekommen sei, welches den Meuterern Straffreiheit zusichert, inklusive Prigoschin selbst, der jedoch ins weißrussische Exil muß. Die Integration der Wagner-Truppe in die russische Armee, welche Prigoschin verhindern wollte, wird fortgeführt.
Was ist also nun geschehen? Hat Putin, wie manche sagen einem Putschisten und Landesverräter Amnestie erteilt? Wurde die Instabilität Rußlands ersichtlich?
Auch hier haben wir sorgfältig zwischen zwei Aussagen zu trennen. Die erste besagt, daß die Tatsache, daß diese Meuterei überhaupt stattfand, eine Blamage für Rußland darstellt. Dem ist ohne Zweifel zuzustimmen. Die Wagnermeuterei zeigte ein Problem mit den privaten Militäreinheiten, welche jedoch auf der anderen Seite dem russischen Staat eine erhebliche Kampfkraft zur Verfügung stellen können.
Die zweite Aussage betrifft die Reaktion der russischen Führung. Diese habe durch die Amnestie Führungsschwäche gezeigt. Putin sei daher angezählt, ein Bürgerkrieg jederzeit möglich.
Nun, wenn man eine Truppe nicht vernichten, sondern zurück an die Front schicken will, dann bleibt gar nichts anderes übrig, als sie zu amnestieren. Prigoschin selbst dabei zu verschonen ist nur folgerichtig, weil sonst die Garantien für die anderen keinen Wert hätten. Solange er im Exil politisch neutralisiert ist, genügt dies. Daß eine Meuterei, sobald sie groß genug wird, für die Meuterer keine strafrechtlichen Folgen hat, ist ein sich immer wiederholender Klassiker der Militärgeschichte. Der Schaden, der durch ein Blutbad an den eigenen Truppen entstünde, wäre fast immer zu hoch.
Ansonsten ist nicht ersichtlich, warum die Reaktion der russischen Führung inadäquat gewesen sein soll. Daß pro forma Lukaschenko die Verhandlungen führte, ist Protokollsache. Als Außenstehender konnte er es sich erlauben, als Vermittler zu Prigoschin zu gehen, während die russische Führung sich damit die Blöße gegeben hätte, mit einem Meuterer auf Augenhöhe zu erscheinen.
Die Meuterei Prigoschins zerbrach innerhalb eines Tages an dem Faktor, an welchem ein solches Abenteuer in einem auch nur halbwegs stabilen politischen System scheitert: An der geschlossenen Ablehnung der Eliten, die jede militärische Entscheidung vorwegnimmt. Daß es zwischen Prigoschins Söldnern und Putins Leibgarde nicht zu einer Schlacht um Moskau kam, zeugt für die Stabilität des politischen Systems gegenüber den Abenteuern einzelner.
Nachtrag:
Martin Sellner hat auf Twitter den Einwand erhoben, was denn mit Prigoschins öffentlichen Zweifeln am russischen Kriegsnarrativ und seinen Behauptungen russischer Gebietsverluste, sei.
https://twitter.com/MSLive_aut/status/1673226144449982464
Er selbst kommt zu dem Schulß, daß Prigoschin ursprünglich einen Putsch geplant, und dafür auf ein Gelingen der ukrainischen Offensive gerechnet hätte. Dann aber sei er in Panik geraten, habe den Putsch trotz erfolgreicher russischer Abwehr versucht durchzuziehen und dabei vergessen das Skript zu ändern.
https://t.me/martinsellnerIB/17370
Das ist eine Möglichkeit, aber die entscheidende Vermutung Sellners ist: “Prigoschin hat vergessen das Skript zu ändern”. Denn in der Situation vom 23. und 24. Juni war ein Putsch gegen die Regierung selbst völlig sinnlos und ist von Prigoschin auch nicht versucht worden. Das wäre ein grober Schnitzer, aber nicht völlig unmöglich. Prigoschin müsste dabei aber schon bei seiner wichtigsten Handlung am 23. Juni, der Aufnahme seiner Erklärung, in einem Automatismus einen alten Redetext heruntergelesen haben, bei dem er ja auch einfach diese Stelle hätte auslassen können. Zudem sieht er auf dem Video nicht aus, als ob er von einem Teleprompter ablese.
Die Zweifel am Kriegsnarrativ sind aber auch da Teil eines Angriffes auf Schoigu, Putin wird in Schutz genommen, er sei von Schoigu hintergangen worden. Das passt nicht zu einem ursprünglichen Putschgedanken gegen Putin. Hat Prigoschin das Skript nur halb geändert?
Ich denke, daß dieser Abschnitt sich an die eigenen Leute wendet. Deren Unterstützung bei der Meuterei war nicht selbstverständlich. Und zur Zeit scheint es auch so, als ob er bei weitem nicht alle Wagnersöldner auf seiner Seite hatte. Er wendete sich an diejenigen seiner Leute, die nach Hause wollen und gab diesen einen Schuldigen am Krieg. Dieser Schuldige aber war Schoigu, nicht Putin.
Eine hervorragende Analyse zu dem Vorgang. Ein Aspekt, der noch offenbleibt: Hatte Prigoshin zu dieser Aktion Kontakte ins (westliche) Ausland? Sein Video scheint ja auf militärische Probleme seitens Russland anzuspielen, die er im Zuge der Gegenoffensive wohl erwartet hat, die dann aber nicht eintraten. War das ein Faktor, auf den er für einen Erfolg seiner Meuterei baute?