Noch nie war ich so versucht, mich mit fremden Federn zu schmücken, wie bei der Wortschöpfung des Cargokultrevoluzzers.
(Was die Bilder zeigen: Aufständische am 29. Januar 2011 in Kairo: Ramy Raoof, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons)
Der Ausdruck stammt aber leider, leider nicht von mir. Zu allem Überfluss stammt er auch noch von einer Frau. Einer anonymen Bloggerin, die vor einem Jahrzehnt unter dem Namen Ozymandias schrieb und deren Text ich nicht mehr auffinde. Soviel dazu, daß das Internet nichts vergisst.
Bevor jemand den falschen Verdacht hegt: Ich bin mir sicher, daß es sich um eine Frau handelte, auch wenn das Pseudonym nach der gräzisierten Form des Namens Ramses II. gewählt ist. Von demselben Nutzerkonto stammte ein Nachruf auf Jörg Haider, der so eindeutig aus weiblicher Feder war, daß gesetzt der Fall daß der Autor außerhalb der Vollziehung des Geschlechtsaktes männliche Genitalien zwischen den Beinen hatte, damit das Postulat der Gendertheorie belegt wäre, wonach ein biologisch weibliches Gehirn durch einen Irrtum der Natur in einem Körper mit Penis und Hoden feststecken kann.
Also werde ich heute mein misogynes Naturell ausnahmsweise hintenan stellen und dem schönen Geschlecht die gebührende Ehre zollen, für die Entdeckung des Cargokultrevoluzzers. Einer jener brillanten Wortschöpfungen, die einen komplexen Sachverhalt durch ein eindrückliches Bild erklärt, ohne ihn zu banalisieren und zu verfälschen.
Der Cargokultrevoluzzer ist ein Rechter, der glaubt, die Rechte solle sich an den Strategien linker Bewegungen orientieren. Immerhin hatten diese Erfolg, wo die Rechte die vergangenen Jahrzehnte nur einen Rückzug nach dem anderen zu verzeichnen hatte. In einem weiteren Sinne geht es um ein grundlegendes Missverständnis linker Macht, die diese auf bestimmte Formen des Aktivismus und der Medienarbeit zurückführt.
Ozymandias schrieb ihren Text, kurz nach der als „Arabischer Frühling“ verklärten Aufstandswelle, als in rechten Kreisen die Idee aufkam, man müsse den Tahir-Platz kopieren, um das ungeliebte BRD-Regime los zu werden. Sie verwies dieser naiven Vorstellung gegenüber auf die tatsächlichen Hintergründe der Regimewechsel in Tunesien und Ägypten. Der greise (*1936) tunesische Präsident Ben Ali wurde von seiner eigenen Leibwache in ein Flugzeug Richtung Saudi-Arabien verfrachtet. In Ägypten wollte der noch ältere Hosni Mubarak (*1928) seinen Sohn zum Nachfolger machen, was auf Widerstand in der Generalität stieß. Als nach Mubaraks Sturz in den ersten freien Wahlen die Muslimbrüder die Regierung errangen, wurde dieses Wahlergebnis durch ein Bündnis zwischen Militärs und wirtschaftlicher Elite berichtigt, was zur bis heute andauernden Präsidentschaft Abd al-Fattah as-Sisis führte.
(Feldmarschall As-Sisi als Verteidigungsminister 2013 https://en.wikipedia.org/wiki/Abdel_Fattah_el-Sisi#/media/File:Egyptian_Minister_of_Defense_Abdel_Fatah_Al_Sisi.jpg)
Ben Ali und Mubarak wurden gestürzt, weil sie den Rückhalt bei Eliten und Funktionären verloren hatten, weil Institutionen und andere überlegtere und vor allem ausdauerndere Machtzentren, als die Straße oder die öffentliche Meinung des Augenblicks, sich gegen sie wandten.
In Libyen wendeten sich die Eliten und Funktionäre nicht in ausreichender Zahl gegen Muhammed el Gaddafi. Hier zitiere ich Ozymandias aus dem Gedächtnis: „Was dann folgte, nannte man nicht mehr sandfarbene Revolution, oder Wüstenblumenaufstand es ging in die Geschichte ein unter dem prosaischeren Namen: Libyscher Bürgerkrieg.“
Ozimandias verglich die Rechten, die sehnsüchtig auf die Bilder vom Tahirplatz starrten mit den Anhängern der Cargokulte in den melanesischen Inseln. Es gibt eine Reihe solcher Kulte, um Versorgungsgüter aus der zivilisierten Welt, die seit dem 19. Jahrhundert durch Kontakt der Einheimischen mit Europäern entstanden sind. Der bekannteste Fall ereignete sich allerdings durch die Stationierung amerikanischer Soldaten auf melanesischen Inseln während des 2. Weltkrieges. Manche dieser Stützpunkte waren so klein, daß sie aus der Luft versorgt wurden, anstatt einen Hafen zu bauen. Wie die GI’s eben so sind, begannen sie Teile ihrer Versorgungsgüter an die Einheimischen zu verteilen. Nach dem Abzug der Amerikaner begannen die Einheimischen Flugzeugtrappen zu bauen und mit Stöcken in der Hand oder geschnitzten Kopfhörern auf dem Kopf die Bewegungen der Bodenbesatzungen des Flugfeldes nachzuahmen, und rituell die amerikanische, oder jede andere Fahne zu hissen, die ihnen irgendwie in die Hände fällt.
(Flaggenhissung des John Frum Cargo Kultes auf Tanna https://en.wikipedia.org/wiki/John_Frum#/media/File:John_Frum_flag_raising.jpg
Bilder von Flugzeugattrappen aus Stöcken oder Red findet man mit jeder Suchmaschine, ich bin nur extrem vorsichtig mit dem Urheberrecht.)
Was zunächst nicht mehr ist, als eine lustige Geschichte über Wilde, ist bei näherer Betrachtung ein durchaus verständliches, wenn auch vollkommen fehlerhaftes Verhalten und ein treffender Vergleich für Rechte Nachahmer linker politischer Praxis.
Was ist denn der Denkfehler der melanesischen Cargokultisten? Er besteht nicht einfach darin, zu glauben, durch das Herumwedeln mit Stöcken auf auf einem Stück Wiese die begehrten Freßpakete zu erhalten. Vergegenwärtigen wir uns zunächst einmal, warum die Cargos überhaupt nach Melanesien kamen und warum sie schließlich wieder ausblieben.
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