Fragen zur Zeit

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Der kommende Kampf um die Gerichte

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Johannes Konstantin Poensgen
Juli 06, 2025
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Der kommende Kampf um die Gerichte
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Deutsche Richter werden durch Kooption und politischen Proporz ernannt. Das macht die Gerichte zu einer linken Bastion, die sich nur mit großer Verzögerung an eine veränderte Gesellschaft anpassen wird.

(Bildmontage: Frage zur Zeit; Reichstag: Ank Kumar, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons; Richterroben des Bundesverfassungsgericht: Benutzer:Evilboy, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons)


In dieser simplen Tatsache liegt ein gewaltiger Konfliktstoff für die Zukunft. Die Justiz wird hinter der sich verändernden politischen Landschaft zurückbleiben. Das heißt, wir werden auch in Deutschland erleben, was wir in vielen anderen Ländern, vor allem in Osteuropa, beobachten konnten: Rechte Regierungen und eine sich nach rechts verschiebende Gesellschaft werden mit einer linken, sich vielleicht sogar weiter nach links verschiebenden Richterschaft frontal zusammenstoßen.

Der Aufbau von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin und zukünftigen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts ist ein Zeichen kommender Konflikte. Unter rechten, ja überhaupt unter nicht-linken Juristen ist es ein Allgemeinplatz, davor zu warnen, daß der große Schub der woken Juristen überhaupt erst noch kommen wird. Daß wir, sobald die jetzigen alten weißen Männer in Pension gegangen sein werden, einer geschlossenen Front aus linken Aktivisten in Richterroben gegenüberstehen werden, von denen wir für unsere persönlichen Grundrechte nicht viel zu hoffen haben, die aber vor allem jeder rechten Regierung, die an die Macht kommen sollte, das Regieren verunmöglichen werden.

Aber unterscheidet sich die Richterschaft denn darin von anderen Teilen der Gesellschaft? Man könnte sogar soweit gehen, die Justiz als ein Scheinproblem abzutun, eines, das sich lösen wird, sobald die Rechte die politische Macht, die metapolitische Hegemonie oder sonst einen großen Erfolg errungen hat. Am Ende, so diese Auffassung, folgen doch auch die Richter dem Overton-Fenster. Verschiebt man es nach rechts, werden die Richter dem auch folgen.

Das Problem ist: Das Overton-Fenster ist ein Mittelwert, der über einzelne Bereiche der Gesellschaft wenig aussagt. Und vor allen Dingen: In unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft verschiebt es sich mit unterschiedlicher Vorlaufzeit. Nicht unterschiedlich schnell, sondern mit unterschiedlicher Vorlaufzeit. Das ist ein wichtiger Unterschied. Wären unterschiedliche Gesellschaftsteile in ihrer Anpassung an den Zeitgeist unterschiedlich schnell, dann müßten die schnelleren Teile der Gesellschaft die langsameren ja irgendwann abhängen. Worin sich einzelne Gesellschaftsteile oder Untersysteme aber unterscheiden, ist, wie lange es braucht, bis Veränderungen, die in dieses System eingespeist werden, beherrschend werden. Auch ein System, in dem das sehr lange braucht, kann sich sehr plötzlich verändern, aber die Art der Veränderung ist lange im Voraus bestimmt. Wie lange diese Vorlaufzeit in einem gesellschaftlichen System ist, hängt im wesentlichen davon ab, wie es seinen Nachwuchs rekrutiert und wie in diesem System die Karrieren aussehen. In einem System mit vielen Quereinsteigern und Karrieren, in denen man schnell aufsteigen kann, gibt es geringe Vorlaufzeiten für Veränderungen. In einem System mit starren Karrierewegen hingegen dauert es lange, bis neues Blut an die Spitze kommt.

Die Richterschaft gehört zu den Untersystemen der Gesellschaft, in denen das Overton-Fenster aus diesem Grund lange Vorlaufzeiten hat. Die Richterschaft rekrutiert ihren Nachwuchs auf den unteren Rängen formell durch die Justizministerien der Länder, faktisch weitgehend durch Kooption. Höhere Richter werden durch politische Absprachen der Kartellparteien bestimmt. Für jemanden, der sich an die politischen Vorgaben anpaßt oder zumindest nicht stört, ist die Richterlaufbahn darüber hinaus eine sehr berechenbare Karriere. Vom Rechtsreferendariat bis zum Oberlandesgericht: Man rückt auf nach Dienstalter und dienstlicher Beurteilung. Das gilt ganz besonders, wenn wir nicht mehr auf den einzelnen Richter, sondern auf ganze Alterskohorten schauen. Der Einzelne mag etwas schneller oder langsamer die Karriereleiter emporklettern. Aber wann eine bestimmte Kohorte an Juristen in die Amtsgerichte, die Landgerichte, die Oberlandesgerichte und so weiter kommt: Das ist mathematisch berechenbar. Eine Organisation, in der Karrierewege so starren Zeitplänen folgen, braucht lange, bis Veränderungen an ihrer Spitze ankommen. Über welche Zeiträume wir da sprechen, kann man hervorragend an einer anderen Institution sehen: der katholischen Kirche.

Die katholische Kirche hat eine sehr flache Hierarchie. Über dem Priester steht der Bischof und über dem Bischof kommt schon der Papst. So zumindest die Theorie. In der Praxis ist der Klerus eine legendäre Gerontokratie. Junge Päpste sind ein beliebtes Thema für Filme und Romane, in der Wirklichkeit gab es sie, als ein Papst noch fürchten mußte, von rivalisierenden Adelshäusern während der Prozession überfallen und verprügelt zu werden. Diese lustigen Zeiten sind lange vorbei.

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