Die gesichtslose Macht und der Mythos des Terrors
Der größte Teil des folgenden Textes entstand kurz nach einem medial vielbeachteten Terroranschlag. Welcher, das ist gleichgültig.
(Gedenkmalerei der Irish Republican Army
Es erwies sich damals als unmöglich, ihn veröffentlichen zu lassen. Vielleicht ist es wirklich besser ihn zu einer Zeit zu veröffentlichen, in der die Gemüter weniger erregt und die üblichen Denunziationsbehörden weniger geschäftig sind. In einen empörten Hitzkopf wird es gewiss nicht hineingehen, daß der Terror Mythen der modernen Gesellschaft anspricht. Seine kulturelle Verwurzelung reicht weit tiefer, als IRA-Lieder, 9/11-Memes und Ted Kaczynski Zitate.
Die berühmteste Terrororganisationen der Geschichte, die Assassinensekte, hatte ein Kampflied, das Peter Scholl-Latour oft zitierte, um den Antrieb muslimischer Terroristen verständlich zu machen:
„Ein einzelner Krieger zu Fuß, nur mit einem Dolch bewaffnet, wird zum Schrecken der Mächtigen und wenn sie sich mit zehntausend gepanzerten Reitern umgeben.“
Diese Zeilen fangen das Faszinosum des Terrors ein. Es genügt nicht zu sagen, daß der Terror den Machtlosen Macht verspricht. Der Assassine geht in den sicheren Tod, um einem der Mächtigen den Gruß des Alten vom Berge zu überbringen. Dem Terror liegt die Idee zugrunde, daß persönliche Opferbereitschaft selbst ein extremes Ungleichgewicht der Machtmittel aufwiegen könne.
Der Traum, daß die Macht von Geld und Apparat gebrochen werden kann, wo ein Mann Ehre und Freiheit höher setzt als das Leben, daß die Tyrannen dunkle Ecken fürchten lernen, wo immer eine verzweifelte Seele Mut findet, wird nicht sterben und wenn er die Menschen noch so oft betrügt.
Daraus gewinnt der Terrorismus seine Macht über die Vorstellung, selbst wenn sie oft in einem grotesken Mißverhältnis zu seiner tatsächlichen Fähigkeit steht Schaden anzurichten. Deswegen eignen sich Terroristen so gut als popkulturelle Ikonen.
Dabei ist diese Form des Terrorismus durch den einsamen Krieger mit dem Dolch fast ausgestorben. Von den Assassinen, über Guy Fawkes und Robert-François Damiens, bis zu den Anarchisten und Nihilisten des 19. Jahrhunderts war Terrorismus fast gleichbedeutend mit dem Attentat auf politische Führungsfiguren. Der Terrorist sah sich selbst als Tyrannenmörder. Als im 19. Jahrhundert Sprengstoff zu einer brauchbaren Attentatswaffe wurde, achteten die allermeisten Terroristen peinlich darauf, keine Unbeteiligten zu treffen.
In einer Zeit, in der ersetzbare Politikdarsteller von ausgefeilten Personenschutzkonzepten bewacht werden, hat sich der Terrorismus gewandelt. Vom Anschlag auf Könige und ihre Minister gingen Terroristen mehr und mehr zum Massaker an relativ willkürlich ausgewählten Menschen über. Die RAF, deren Ziele hauptsächlich zweitrangige Kadern der Bundesrepublik waren, stellte in dieser Hinsicht ein Übergangsphänomen dar.
Es wäre jedoch ein Fehler, diesen Übergang vom Attentat zum Massaker nur auf die Schwierigkeiten zurückzuführen, an den Sicherheitsbollwerken der heutigen Elite vorbeizukommen. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts ist die Repräsentation der Macht weitgehend verschwunden.
Arkana der Macht gab es immer, wird es immer geben und auch im 18. Jahrhundert wußten Bauer und Bürger nicht, was in Kabinetten und Höfen wirklich vor sich ging. Aber die Zurechnung der Verantwortung an den Monarchen und seine öffentlich auftretenden Minister war immer noch praktikabel, weil sie in die richtige Richtung zielte. Der Untertan wußte nicht so genau was seine Herrscher taten, aber er wußte wer ihn beherrschte. Das hat sich mit der Demokratisierung bei gleichzeitiger Komplexitätssteigerungen moderner sozialer Systeme geändert.
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