Die Rechtfertigung – Ein Kategorienfehler
„Ich verstehe euch ja. Aber wie wollt ihr das denn moralisch rechtfertigen? Das muß ausgearbeitet werden.“ Nein muß es nicht.
(https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/31/La_scuola_di_Atene.jpg)
Mit der Zähigkeit eines Schimmelpilzes in einem feuchten Badezimmer taucht eine Debatte stets aufs neue auf: Wie ist [Rechte Position einfügen] ethisch zu rechtfertigen? Oder gleich das ganze rechte Weltbild. Von Anfang an und philosophisch bitte. Kommt man dem betreffenden nämlich mit Evolutionsbiologie, dann schreit er Zeter und Mordio, Biologismus und Materialismus. Glücklicherweise ist diese Frage nie eine der „großen Debatten“ geworden, die Art, die in internen Parteikämpfen ausgetragen wird. Dafür ist sie wohl auch ein bisschen zu autistisch. Totzukriegen scheint sie aber dennoch nicht zu sein, obwohl sie auf einem simplen Kategorienfehler basiert.
Den folgenden Zeitgenossen, der unter dem Namen Aarvoll publiziert, nehme ich mir nur deshalb heraus, weil er die Fragestellung und den dahinter stehenden Menschentypus so perfekt verkörpert, obwohl freilich nicht jeder, der diese Frage in den Raum wirft, ein christlicher Neuplatoniker ist. Doch unabhängig von der konkreten intellektuellen Position steht er für den Typus, der sie meistens stellt: Den Nurtheoretiker jener Sorte, der nicht notwendigerweise ein Gegner aktiver Politik ist, sich aber schwer mit der Tatsache zurechtfindet, daß die Politik kein der Philosophie nachgeordnetes Fachgebiet ist.
Eine Analyse dieses Videos eignet sich auch deshalb so hervorragend zur Behandlung dieses Themas, weil Aarvoll zunächst einmal eine gängige rechte Nationalismuskritik vorbringt. Zudem stellt Aarvoll neben seine normative Forderung nach einer philosophischen Rechtfertigung, zwei praktische Argumente, die ebenso behandelnswert sind, sowohl ihrer selbst wegen, als auch deshalb, weil sie in diesem Zusammenhang typisch sind.
Das Thema des Videos ist die Frage, was eigentlich Nationalismus sei, besser, was diejenigen, die sich selbst als Nationalisten bezeichnen, darunter verstehen. Sein Unwille für einen derart breite und in sich vielfältige politische Richtung eine ebenso breite Definition zu akzeptieren ist symptomatisch für den Denkstil. Eine politische Richtung muß sich auf eine Doktorarbeit berufen. Aarvoll will die politische Richtung zu einem philosophischen System machen. Im Zentrum dieses Systems soll die ethische Begründung der Ziele der Bewegung stehen.
Neben dem Beharren auf der Wirklichkeit der zwei Geschlechter, ist das Beharren auf der Nation heute der wichtigste Programmpunkt der politischen Rechten, also eignet sich dieses Thema gut als Beispiel für sämtliche rechte Positionen, die man grundsätzlich Philosophisch rechtfertigen könnte.
Aarvoll geht verschiedene Typen und Begründungen nationalistischer Positionen durch und kritisiert zunächst alle, die sich in irgendeiner Weise auf ein Selbstbestimmungsrecht der Völker berufen. Diese Argumentation, sei zwar zunächst in sich schlüssig vorzubringen, sie wurzle jedoch in einer liberalen Weltanschauung. Das bringe zwei Probleme auf: Erstens mangele ihr deshalb die tiefe der Kritik an den modernen Verhältnissen, die sich aus einer nicht liberalen, in seinem Falle perennialistischen Perspektive ergeben.
(Aarvoll sieht sich in der Tradition der philosophia perennis, der „Ewigen Philosophie“, einer Denkrichtung, welche davon ausgeht, daß ein Kanon von Wahrheiten nicht irgendwann entdeckt, sondern seit Beginn der Geistesgeschichte weitertradiert wurden. Für gewöhnlich berufen sich Perennialisten vor allem auf Platon, Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin)
Zum anderen, ließe sich aus dieser liberalen Perspektive nicht begründen, warum man denn beim Selbstbestimmungsrecht der Völker stehenbleibe und nicht zum Selbstbestimmungsrecht der Individuen voranschreite. Warum solle ein Volk ein Selbstbestimmungsrecht haben, wo dadurch doch das Selbstbestimmungsrecht der Individuen verletzt werden könne.
Diese Einordnung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker als einer liberalen Position ist im rechten Denken weit verbreitet. Der Grund ihrer oberflächlichen Plausibilität ist die im 19. bestehende Jahrhundert Symbiose aus Nationalismus und Liberalismus, die auch damals nicht unproblematisch war. Letztlich ist sie nur bei einer vollständigen Überdehnung des Liberalismusbegriffes haltbar. Dann nämlich, wenn man jedes Denken, daß einem Subjekt Rechte zuerkennt, als „liberal“ bezeichnet, womit das ganze Rechtsdenken und, da keine Gesellschaft ohne Rechte denkbar ist, jedwede Ordnung der Gesellschaft liberal wäre. Liberalismus wäre dann eine anthropologische Konstante.
Am Ende läuft es auf einen Streit um Worte heraus, aber manche Definitionen sind eben sinnvoller als andere und ich halte es für weit sinnvoller, als Liberalismus nur diejenigen Denkrichtungen zu bezeichnen, welche sämtliche Rechte aus den Rechten des Individuums ableiten. Der Liberalismus in diesem Sinne steht deshalb in einem nicht auflösbaren Spannungsverhältnis zum Nationalismus, welcher einem Kollektiv Rechte zuspricht, welches nicht auf freier Willensentscheidung der Individuen beruht. Das immer erneute Scheitern jedes Nationalliberalismus seit über einem Jahrhundert, bestärkt diese Definition.
Von Minute 4.00 bis 5.30 erhebt Aarvoll dann seine Kernforderung:
„Another definition, that Keith Woods put out, well I guess Azar Gat, this Israeli Scholar put this out. About a week ago, Keith put out his latest installment in his series on academic treatments of nationalism. He covered this book by Azar Gat, where Gat defined Nationalism as a quote unquote ideology that says that one’s particular people should have solidarity and should act in their collective self interest. You know, even citing examples like Ancient Egypt where when the Hyksos where in charge, there were popular uprisings against foreign rule and what is that, if not nationalism?
The problem there is, that it is purely particularist. There is no universalist, prescriptive content. So it’s not the kind of thing, it’s not the kind of position, that you can defend in public discourse. It’s just an emotive statement of fact. It’s like: “I feel this way about my people. I want this for my people”, and in my Opinion, that’s not, strictly speaking an ideology. Ideology should be philosophical systems. I wouldn’t call for that matter ancient mythologies ideologies. Ideology is a different thing from mythology and religion. Ideology grounds truth claims using philosophical methods.”
(Das Video von Keith Woods, auf welches Aarvoll sich bezieht.)
Für diejenigen, die in der englischen Sprache nicht flüssig sind, hier die Übersetzung:
„Eine andere Definition, die Keith Woods vorgebracht hat, nun ich glaube Azar Gat, dieser israelische Gelehrte hat sie vorgebracht. Vor etwa einer Woche hat Keith Woods den jüngsten Teil seiner Serie über akademische Abhandlungen zum Nationalismus veröffentlicht. Er behandelt dieses Buch von Azar Gat, in dem Gat Nationalismus als, in Anführungszeichen, Ideologie definiert, die sagt, daß das je eigene Volk solidarisch sein und in seinem kollektiven Eigeninteresse handeln sollte. Er zitiert sogar Beispiele aus dem alten Ägypten, wo es während der Hyksosherrschaft Aufstände gegen die Fremdherrschaft gab und was ist das, wenn kein Nationalismus?
Das Problem hier ist, daß das alles rein partikularistisch ist. Es gibt keinen universalistischen, präskriptiven Inhalt. Also ist das keine Sache, nicht die Art von Position, die man im öffentlichen Diskurs verteidigen könnte. Es ist bloß eine Aussage über seinen Gefühlszustand. Es ist wie: „Ich fühle dies über mein Volk. Ich will das für mein Volk.“, und meiner Meinung nach ist das streng genommen keine Ideologie. Ideologie sollte ein philosophisches System sein. Was das anbelangt, würde ich alte Mythologie auch nicht als Ideologien bezeichnen. Ideologie ist etwas anderes, als Mythologie und Religion. Ideologie begründet Wahrheitsbehauptungen mittels philosophischer Methoden.“
Hier liegt der Kategorienfehler vor.
Er besteht nicht in einem Irrtum über Politik, sondern in einem Irrtum, einem ganz grundsätzlichen Irrtum über Philosophie:
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