Die Westbindung: Ein deutsches Dilemma in Europa
Großwestdeutschland nannten Spötter den durch die Wiedervereinigung geschaffenen Staat.
(Bild erstellt mit Midjourney)
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Tatsächlich zählt die außenpolitische Bündnisausrichtung, die Westbindung, zu den zähsten Überbleibseln der Bonner Republik. Statt einer mitteleuropäischen Regionalmacht, die manche Deutsche wieder alle Wahrscheinlichkeit erhofft und viele europäische Nachbarn trotz aller Wahrscheinlichkeit befürchtet hatten, verblieb die Bundesrepublik in den Bindungen der Nachkriegszeit.
Man tat in der neuen Hauptstadt Berlin sogar alles, um sich einer unabhängigen Rolle Deutschlands auf dem internationalen Parkett zu entziehen. Die Verweigerung des Irakkrieges durch Bundeskanzler Schröder blieb eine Ausnahme und auch diese war eine gemeinsame Aktion mit Frankreich.
Rechte, in der Vergangenheit aber auch linke Kritik deutet dies als bloßes Ergebnis der Umerziehung, der Reeducation und der Einbindung bundesrepublikanischer Eliten in transatlantische Netzwerke. Das stimmt, ist aber nicht die ganze Wahrheit. Die Westbindung ist eine Lösung für ein jahrhundertealtes deutsches Sicherheitsproblem. Deshalb ist sie so stabil.
Dessen muß sich jeder bewusst sein, der die Westbindung aufgrund ihrer kultur-, wirtschafts-, oder migrationspolitischen Folgen aufheben will. Dies zu wollen gibt es mehr als gute Gründe: Sollten die Vereinigten Staaten auf ihrem multikulturellen Kurs beharren, wird die Loslösung zur Frage des nationalen Überlebens. Doch bedeutet, daß Deutschland mit den Vereinigten Staaten nicht überleben kann noch nicht, daß es ohne die Vereinigten Staaten überleben kann. Die Sicherheitsfrage muß gelöst werden. Auch in der Migrationspolitik herrscht Dimitrios Kisoudis Lieblingsaffe: Der Primat der Außenpolitik.
Deutschlands Sicherheitsproblem ist folgendes: Das Heilige Römische Reich umfasste zeitweilig außer Deutschland auch noch Norditalien und erhebliche Teile des heutigen Ostfrankreichs, zeitweilig bis hinunter in die Provence. Während des Früh- und Hochmittelalters war dieses Reich durch seine schiere Masse der natürliche Hegemon Europas. Nach dem Untergang der Stauferdynastie schrumpfte das Reich langsam aber stetig auf seinen nationaldeutschen Kern zurück.
Dieser Kern ist zu klein um die umliegenden Staaten zu beherrschen, gleichzeitig aber zu groß, als das seine Einheit von diesen Staaten nicht als existenzielle Bedrohung verstanden würde. Mit dem Frieden von Münster und Osnabrück (1648) erreichte Europa ein politisches Gleichgewicht, das auf der Zerstückelung Deutschlands beruhte. Dieses Gleichgewicht wurde nach den napoleonischen Kriegen auf dem Wiener Kongreß 1814-15 bestätigt, auf dem sich die Verbündeten der deutschen Staaten gegen Napoleon mit dem besiegten Frankreich schnell darauf einigen konnten, eine deutsche Einheit zu unterbinden und Frankreich sogar Teile seiner Eroberungen aus den Revolutionskriegen behalten durfte. Daß das besiegte Frankreich in Wien anders behandelt wurde, als das besiegte Deutschland zuvor in Münster und später in Versailles ist nicht einem besonderen Haß auf die Deutschen zuzuschreiben, sondern seiner geographischen Lage. Als Großmacht im Westen des europäischen Kontinents, war Frankreich integraler Bestandteil des Gleichgewichts der Mächte. Seine Existenz als europäische Macht trug zur Sicherheit aller anderen bei.
Deutschland liegt im Zentrum des Kontinents. Ist Deutschland geeint, so entfällt die Knautschzone, die der Ordnung des europäischen Gleichgewichtes ihre Elastizität verliehen hatte. Da Deutschland für sich genommen stärker ist, als jeder seiner Nachbarn, so betrachten andere europäische Staaten es als natürliche Bedrohung.
Die Reichseinigung 1871 ist der Verbindung aus dem persönlichen Genie Bismarcks und einer Blütezeit in der Geschichte unseres Volkes zu verdanken. Doch kaum war sie vollzogen, stellte sich die Frage, wie sie denn zu sichern sei. Von 1871 bis 1945 hat Deutschland vier verschiedene geopolitische Strategien ausprobiert und alle sind gescheitert:
Von Bismarck bis zum ersten Weltkrieg versuchte man ein diplomatisches Jonglierstück, um eine antideutsche Koalition zu verhindern. Es gehört dabei in den Bereich konservativer Märchen, daß dies unter Bismarck glänzend geglückt und erst von seinen unfähigen Nachfolgern vergeigt worden sei. Der berühmte Rückversicherungsvertrag war ein Pflaster auf dem zerbrochenen Dreikaiserbündnis (Deutschland, Österreich-Ungarn, Rußland). Es war nie eine tragende Säule der bismarckschen Politik und wurde nur ein einziges Mal für 3 Jahre abgeschlossen. Seine die tatsächliche Bedeutung übersteigende Prominenz beruht wesentlich darauf, daß der altersstarrsinnige Bismarck das Geheimabkommen seinerzeit veröffentlicht hatte, um sich an Wilhelm II. zu rächen.
Das diplomatische Jonglieren endete im Ersten Weltkrieg. Die Erforschung seines Anlasses, der Ermordung Franz-Ferdinands und den darauffolgenden Ultimaten, Mobilmachungen und Kriegserklärungen obliegt der historischen Detailarbeit. Seine Ursache wird man darin suchen müssen, daß das Bündnis der beiden Randmächte, Frankreich und Rußland, gegen das deutsche Zentrum Europas beiden Mächten größeren Entfaltungsraum versprach, als ein jeweiliges Zusammengehen mit Deutschland.
Die damaligen Ziele, Frankreichs Wunsch Elsaß-Lothringen zurückzugewinnen, Rußlands Absichten auf dem Balkan, gehören genauso ihrer Epoche an, wie die Frankreichs und Schwedens im Dreißigjährigen Krieg. Zeitübergreifend gilt jedoch, daß ein zerstückeltes Deutschland eine Pufferzone für expansive Absichten der Randmächte abgegeben hatte, die deutsche Einheit ließ für ihrer Entladung nur einen gesamteuropäischen Krieg.
Nach dem ersten Weltkrieg sollte, so heiß es jedenfalls in den offiziellen Verlautbarungen, Europa nach dem Prinzip der kollektiven Sicherheit neu geordnet werden. Die alle Staaten umfassenden Institutionen des Völkerbundes sollten an die Stelle der verfeindeten Bündnisse der Vorkriegszeit treten Der Völkerbund konnte in den meisten Organen nur einstimmig (unter Ausschluß der an einem Streitfall beteiligten Parteien) Beschlüsse fassen. Eine Revision des Versailler Diktates, in zahlreichen Reden beschworen, erwies sich so als unmöglich. Doch ist schwer vorstellbar, wie dies durch ein anderes Abstimmungsverfahren hätte vermieden werden können. Das Einstimmigkeitsprinzip erfüllte im Völkerbund dieselbe Funktion, wie das Veto der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Es verhinderte, das eine Großmacht in einer Frage existenzieller Interessen von einer Reihe von Kleinstaaten überstimmt werden konnte, einen Fall, der sofort die Autorität, wenn nicht den Bestand des Völkerbundes selbst infrage gestellt hätte.
In der Praxis erwies sich die Völkerbundsordnung daher an die Mächtekonstellation von 1919 gebunden. Ein besiegtes und entwaffnetes Deutschland. Ein durch Bürgerkrieg zerrissenes Rußland. Ein Italien, das mit seiner Behandlung in Versailles zwar unzufrieden war, aber aufgrund innerer Instabilität wenig dagegen tun konnte. Ein Frankreich, dessen Militärmacht die des restlichen Kontinents in den Schatten stellte und in Osteuropa über einen Kranz an Abhängigen und Verbündeten verfügte. Die durch den Status Quo benachteiligten Mächte, Deutschland, Italien, Japan, traten schließlich aus. In dem Maße, in dem die reale Mächtekonstellation nicht mehr der von 1919 entsprach, verlor der Völkerbund seine Bedeutung.
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