Ein Sommerkriegsalbtraum
Jeder Krieg beginnt mit einer Lüge. Ausnahmslos. Das hat nichts mit Propaganda zu tun. Es liegt in der Natur der Erinnerung.
(Bildquelle Aust: https://de.wikipedia.org/wiki/Ren%C3%A9_Aust#/media/Datei:Ren%C3%A9_Aust_(2019).jpg
Bildquelle Neuhoff: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Neuhoff#/media/Datei:Hans_Neuhoff_(2024).jpg)
Jeder Krieg beginnt mit einer Lüge über den Zeitpunkt seines Beginns. Die Mitwelt, spätestens aber die Nachwelt verpasst ihm ein Anfangsdatum. Diese Daten stehen in den Geschichtsbüchern und die Kinder lernen sie in der Schule.
Schaut man nur ein wenig genauer hin, sieht man, daß an der Grenze zu diesem Zeitpunkt bereits seit Wochen, Monaten, manchmal sogar seit Jahren geschossen wurde. Der Kriegsausbruch durch einen Überfall gehört ins Reich der geschichtlichen Mythen. Auch die Leichtfertigsten lassen sich nicht aus Spaß an der Freude darauf ein und so geht der letzten Eskalation ein Abtasten der Gegner voraus. Ein Schlag hier, ein Gegenschlag dort, junge Männer sterben. Man nennt das eine diplomatische Krise. Irgendwann kommt der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Der muß den Handelnden nicht einmal bewusst sein. Putin mag am 22. Februar 2022 ernsthaft geglaubt haben, daß er nur eine weitere Demonstration der Stärke veranstaltet. So kann man sich irren.
An diesem Punkt ohne Wiederkehr ist die AfD gerade haarscharf vorbeigeschlittert. Jedenfalls steht das zu dem Zeitpunkt an dem ich dies schreibe zu hoffen. Sicher ist noch nichts. Als die Meldung vom Treffen zwischen Krah und Aust Donnerstagabends hereinkam, angeblich auf Vermittlung von Helferich, hatte das etwas von Kubakrise. Doch selbst wenn persönliche Fehler begangen wurden. Überbordendes Ego ist nicht der Kern dieser Krise! Wäre dem so, alles wäre viel, viel einfacher. Die Anzeichen für die sich anbahnende Auseinandersetzung sind länger zu beobachten. Die Auftrittsverbote für Krah und Bystron, das Parteiausschlußverfahren gegen Helferich, angestoßen von demselben Hans Neuhoff, der nun hinter dem Ausschluß von Krah aus der Europadelegation steht, die Bestrebungen Bollingers, seine Mehrheit in Rheinland-Pfalz mit Hilfe der Unvereinbarkeitsliste zu sichern.
Das Kernübel der AfD ist seit ihrer Gründung das ungleiche Risiko der verschiedenen Richtungen. Niemand bekam je ein Parteiausschlußverfahren an den Hals, weil er zu liberal gewesen war. Ein Liberalkonservativer muß sich schon absurd parteischädigendes Verhalten zuschulden kommen lassen, um hinausgeworfen zu werden. Seine Äußerungen allein reichen dazu nicht und es wurde auch noch gegen keinen Liberalen ein Auftrittsverbot verhängt. Eine zu große Nähe zum Altparteienkartell kann Nominierungen und Listenplätze kosten, dann wenn die Basis einmal zur Abstimmung gebeten wird. Aber sie drängt niemanden dauerhaft aus der Partei, es sei denn er geht freiwillig. Mit den Liberalkonservativen der Ära Lucke bis Meuthen war das jedoch oft genug der Fall, teils weil das Ego mancher zu aufgeblasen war, um eine Niederlage wegzustecken, teils weil es sich hier tatsächlich doch in gewissem Sinne um ehrliche Liberale handelte, die mit den Rechten aus Überzeugung nichts zu tun haben wollten. Gleich aus welchen Gründen, nach einem verlorenen Machtkampf verließen diese Leute die AfD um bedeutungslose Kleinparteien zu gründen.
Das ist bei den heutigen Parteispaltern nicht mehr der Fall, was man schon daran sieht, was für Leute mit welcher Vergangenheit da bisweilen protegiert werden. Damit ändert sich für die Rechte die strategische Rechnung. Bisher hat die Rechte in der AfD durch politisches Jiu-Jitsu überlebt. Man griff den Parteifeind nicht selbst an, sondern stärkte die Einheit der Partei, während der Gegner munter dabei war, rechte Köpfe rollen zu lassen.
Solange die Rechte als Richtung innerhalb der Partei überlebte, konnte sie sich damit gegen Lucke, Meuthen und Petry durchsetzen. Denn bei jedem parteiinternen Kampf kommt der Punkt an dem es der Masse der Mitglieder und Funktionäre zu bunt wird. An diesem Punkt rannten die Libkons der ersten Stunde mit ihren Säuberungen immer gegen eine Wand und verließen darauf im Frust die Partei.
Ihre heutigen Erben sind da zäher. Und damit ändert sich alles. Was wenn Vincentz nicht einfach das Handtuch wirft, sollte das Parteiausschlußverfahren gegen Helferich scheitern? Dann schlägt das Risikoungleichgewicht voll zu Buche. Auch das alte Jiu-Jitsu ging nicht ohne Verluste ab. Der wichtigste Kopf, der die AfD verlassen musste, war der Flügelorganisator Andreas Kalbitz. Aber es traf auch andere, den Bundestagsabgeordneten Pasemann, den kurzzeitigen JA-Vorsitzenden Neumann, und wer die AfD verfolgt hat, wird weitere Namen nennen können.
Die heutigen Parteispalter haben gelernt, nach einer Niederlage nicht schmollend den Saal zu verlassen, sondern einfach weiterzumachen. Damit bleiben nach einem Kampf nur die rechten Verlusten. Jiu-Jitsu, Einheit um jeden Preis, bedeutet nur noch, sich einer feindlichen Salamitaktik auszuliefern. Gerade jetzt beginnt Martin Vincentz in Nordrhein-Westfalen damit, ihm ungenehme Kreis- und Bezirksvorsitzende per Ukas des Landesvorstandes aus ihren Ämtern zu entfernen. Die Rechten innerhalb der AfD merken gerade, die einen langsamer, die anderen schneller, daß sie Stück für Stück gesäubert werden, wenn sie bei der Strategie verbleiben, die bisher am Ende immer funktioniert hat. Die Rechten müssen sich die Frage stellen, an welchem Punkt sie kämpfen wollen. Erst beim Parteiausschlußverfahren gegen Björn Höcke?
Wer verstehen will, was vergangene Woche geschehen ist, muß das begreifen. Die Rechte in Partei und Vorfeld muß sich umorientieren und ist gerade dabei abzutasten wie sie weiter vorgehen kann.
Ein erster Versuch bestand darin, über soziale Medien Druck auszuüben. Die Rechte ist dort viel stärker, als ihre Gegner. Diese Strategie, von den Verächtern als „Twittermob“ beschimpft, hat Erfolge, aber auch Grenzen gezeigt.
Daß es überhaupt jetzt zu einer Aussprache zwischen Aust und Krah gekommen ist, daß Krah überhaupt noch mehr ist, als ein geschasster Politiker, verdankt er vor allem seinem Profil in den sozialen Medien und dem Aufruhr dort gegen den Versuch seiner Kaltstellung ausbrach. Das ist zunächst festzuhalten. Wenn es diese Blitzkampagne nicht gegeben hätte, gäbe es keinen Grund, überhaupt mit ihm zu reden. Es war eine Machtdemonstration, das muß man allen entgegenhalten, die die Ansicht vertreten Aust könne das eigentlich egal sein, er bekomme ja die nächsten fünf Jahre seine Diäten in Brüssel. Das stimmt zwar, aber das galt selbst noch für Bernd Lucke und Jörg Meuthen, nachdem sie die Partei verlassen hatten. Politisch wurde Aust letzte Woche massiv angeschlagen. Gegen ihn zeigte der „Twittermob“ Wirkung, sonst hätte er nicht angekündigt, sich zu erklären und später keine Aussprache mit Krah gesucht.
Nur funktionierte das gegen Aust gerade deswegen so gut, weil er eigentlich zum patriotischen Flügel gehört. Für Höcke, der eine Solidaritätsbekundung für Aust unterschrieb, ist er auf einmal eine Belastung. Ein Hans Neuhoff ist so viel schwieriger zu treffen. Der Vorwurf er habe Krah verraten, gilt in den Kreisen seiner Unterstützer als Auszeichnung. Das beantwortet auch die Frage, warum auf Aust und nicht auf Neuhoff geschossen wurde. Aust, der Bauer, der sich hatte vorschieben lassen, war für das rechte Vorfeld angreifbar. Die Hintermänner nicht. Des Krahs Hund konnte gar nicht diejenigen beißen, die den Mord gerufen hatten, nur den, der am Ende mit dem blutigen Dolch im Saal stand.
Der Twittermob taugt gut als Disziplinierungsmittel innerhalb der Rechten und das ist nichts, was man kleinreden sollte. Wenn es nicht wenigstens hier wehtut, als Verräter gebrandmarkt zu werden, dann spiegeln sich dieselben perversen Anreizstrukturen der Gesamtpartei hier noch einmal. Das heißt nicht, daß es keine Versöhnung geben darf, aber es ist nunmal das Zeichen des haltlosen Romantikers auf die höhere Moral zu setzen, wenn die Anreizstrukturen diametral entgegen gestaltet sind.
Zur Wiederholung: Das Kernübel ist, daß es Sanktionen nur für Rechtsabweichler, aber nie für Linksabweichler gibt.
Bevor das nicht behoben ist, hilft es auch überhaupt nichts, nach Ordnung und Disziplin zu rufen und einen Generalsekretär zu fordern. Ordnung und Disziplin sind in der AfD solange gleichbedeutend mit der Säuberung von Rechten, solange zu rechts Sein ein anerkannter Disziplinarverstoß ist, zu links sein aber nicht. Ein Generalsekretärsposten änderte daran nichts, in den falschen Händen wäre er sogar die gefundene Brechstange für die Parteispalter.
Wenn die AfD nicht in ihre beiden Flügel zerfallen soll, dann braucht es ein Gleichgewicht zwischen den möglichen Sanktionsmitteln. Auf Seiten der Liberalkonservativen steht dabei die größere Nähe zu den Positionen des Establishments. Das heißt der Druck der äußeren Repression richtet sich zuerst gegen den rechten Flügel. Spalter wie Vincentz und Neuhoff können das nutzen um ihre Gegner aus der Partei zu drängen. Es hilft aber nichts, das nur moralisch zu beklagen. Wenn die AfD zusammenbleiben soll, dann braucht es einen Gegendruck. Der kann, wie die Lage steht, nur medial sein. Ein anderes dauerhaftes Druckmittel das Linksabweichung ebensosehr sanktionieren kann wie Rechtsabweichung bereits sanktioniert wird, sehe ich nicht. Eine Veränderung der innerparteilichen Organisation kann das nicht leisten, weil so geschaffene Posten, wie ein eventueller Generalsekretär ja von allen besetzt werden könnten und der innere Frieden der AfD, so brüchig er ist, gerade auf der Doppelspitze beruht, die verhindern soll, daß ein Flügel das Sprecheramt mißbraucht, um seine Linie durchzudrücken und die Gegner aus der Partei zu säubern.
Die große Frage ist, ob der mediale Druck aus dem jetzigen Stadium des Twittermobs heraus weiterentwickelt werden kann. Dafür muß sein Fokus verbreitert werden. Er muß mehr werden, als nur der Zorn der Jugend. Der Heimatkurier macht hier mit seiner Aufklärungsarbeit zu den Hintergründen der AfD-internen Machtkämpfe genau das richtige. Es bedarf dieser Arbeit um Strippenzieher im Hintergrund, wie Hans Neuhoff überhaupt angreifbar zu machen.
Die einzige Instanz, die die derzeitigen Wogen glätten könnte, wäre der Bundesvorstand. Der schweigt wohlwollend gegenüber dem Ausschluß Maximilian Krahs ebenso, wie gegenüber der Säuberungswelle, die Martin Vincentz in NRW losgetreten hat. Der Sommerkrieg den Martin Sellner befürchtet, schwelt vor sich hin und kann jederzeit zum Flächenbrand werden.