Einfordern der alten Rechte
Ein Besuch der Bauernproteste, zumindest in Westdeutschland, zeigt ein anderes Bild, als daß derer gegen die Coronamaßnahmen vor zwei Jahren. Jünger, männlicher, ernster.
(Bild erstellt mit Midjourney)
Bitte Teilen, Liken verbreiten! Es hilft diesem Blog!
Twitter:
https://twitter.com/Poensgen_JK/status/1745053703529177314
Instagram:
Telegram: https://t.me/fragenzurzeit/60
Hier tanzt niemand als Versuchskaninchen verkleidet herum, verteilt Vitamin-D-Tabletten, weist einem den Weg zu Jesus Christus oder zu Buddha. Stattdessen Männer jungen und mittleren Alters. Jugendliche sind zahlreicher vertreten, als Rentner. Was außerhalb dezidierter Jugendgruppen sonst im Politischen nie der Fall ist.
Alles Bauernburschen und Handwerkslehrlinge. Die Handvoll linker Gegendemonstranten, mit einem Transparent auf dem irgendwas gegen Nazis draufsteht, scheinen die einzigen Studenten zu sein.
Den patriotischen Aktivisten stellt die erfreuliche Zusammenstellung der Demonstranten vor ein neues Problem: Es ist deutlich schwerer hier Anschluß zu finden. Nicht aufgrund der allgegenwärtigen Distanzierungen gegen Rechts, die gab es hier in Westdeutschland auch schon bei den Coronaprotesten, sondern weil man es hier mit einer bestehenden Gemeinschaft zu tun hat, in der der Aktivist ein Fremder ist. Es wäre absurd deplaziert gewesen, wäre ich aufs Podium gegangen und hätte eine Rede gehalten, oder hätte unsere regionale Gruppe sich mit einem Banner an die Spitze eines Demonstrationszuges gesetzt, was wir beides bei den Coronaprotesten getan hatten.
Wer nicht selbst davon erzählen kann, wie es ist, einen Kleinbetrieb gegenüber der Bürokratie und den Ausplünderungen dieses Staates über Wasser zu halten, der hat hier nichts zu sagen. Die Ausnahme können ironischerweise Politiker sein, denen hier die Volksnähe am einfachsten ist, weil sie mit Versprechungen und Lösungsansätzen auftreten können, die ihnen einen Grund geben dort vorne auf der Bühne zu stehen.
Bevor die Proteste begannen hatte es auf unserer Seite prinzipiell drei Positionen gegeben:
Die mit Abstand verbreitetste war die Einreihung der Bauernproteste als weiteres „formatives Ereignis“ (Martin Sellner) in die „Konvergenz der Krisen“ (Benedikt Kaiser). Eine weitere Stufe des Kontrollverlustes der herrschenden Eliten, die von der Lage faktisch und sachlich überfordert sind. Als Ziel hat diese Blickweise immer eine patriotische Gesamtwende und die Abstellung von Übeln im Blick, die weit über Dieselpreise für die Landwirtschaft hinausgehen.
Die zweite Position betrachtete die Proteste unter dem Blickwinkel unterschiedlicher Elitentheorien als bloßen Bauernaufstand. Pöbel, der Jahrzehntelang zu allem wesentlichen geschwiegen habe und nun für den Erhalt einer Steuersubvention auf die Straße gehe. Wichtiger aber: Der schon deshalb völlig belanglos sei, weil es sich eben nur um Masse handle, die Geschichte aber von elitären Minderheiten gemacht würde. Bei einigen Vertretern dieser Position schimmert gut erkennbar der britische Intellektuelle Academic Agent durch, der in solchen Fragen stets betonköpfig die reine Lehre Gaetano Moscas verficht.
Die dritte Position war die seltenste. Es gab wenige, die sich deswegen dagegen aussprachen die Bauernproteste, in den größeren Zusammenhang des rechten Kampfes zu stellen, weil es verwerflich sei, sie zu instrumentalisieren. Einer dieser Wenigen war Gerhardt Vierfusz. Er schrieb am 7. Januar:
„Den Landwirten geht es um ihre wirtschaftliche Existenz, nicht um den Sturz der Regierung oder des Systems. Wer sie unterstützen will, der hält sich zurück mit seinen eigenen Ansichten und Befindlichkeiten. Die Bauern wollen keine politische Ideologie oder Weltanschauung, sie wollen einfach nur ihren Hof betreiben und davon ihre Familie ernähren können.
Und dies ist nichts Verächtliches, wie manche Rechte zu meinen scheinen. Als ich diesem Bauern zuhörte, dachte ich spontan: Unser Volk ist ein gutes Volk, es ist treu, es ist brav, es ist voller Vertrauen. Es hat das Pech, in einem System zu leben, das es nicht versteht und dessen Bosheit — genauer: die Bosheit von dessen Funktionseliten — weit jenseits seines Vorstellungsvermögens liegt. Wer diesem Volk daraus einen Vorwurf macht, der hat nicht verstanden, was rechts ist.“
Im Wortsinne hat dieser Bauern- und Handwerkerprotest etwas reaktionäres. Er will zurück, wobei dieses zurück nicht, wie in der politischen Weltanschauung der Liberalkonservativen, irgendeine frühere Form der BRD ist, genauer: keine frühere Regierung der BRD. Niemand sehnt sich nach Adenauer, Brandt oder Kohl, sondern nach einer Zeit, in der der eigene Lebensentwurf noch wirtschaftlich tragbar war.
Das ist ein subtiler, aber gewaltiger Unterschied. Es geht eben nicht um eine Weltanschauung, sondern um die Existenz. Das bedeutet auch: Diese Menschen verlangen und brauchen Ergebnisse! Eine gewonnene Debatte darüber, wann die Bundesrepublik auf die schiefe Bahn geraten ist und wer daran schuld war, zahlt ihnen weder Essen, noch Heizöl, noch Treibstoff.
Doch nur, weil diese Menschen nichts weniger interessiert, als die Frage, ob Marx oder Foucault der Begründer des Wokeismus war, ob Libertarismus oder Sozialpatriotismus richtig sei, heißt daß nicht, daß Ideologeme keine Rolle spielten. Keine ausgearbeiteten Ideologien, sondern jene Versatzstücke, deren Sammelsurium die tatsächliche Weltanschauung des Volkes ausmacht. Diese Ideologeme sind rechts. Vor allem die Feindbilder. Man kann inzwischen einem CDUigen Bauernverbandsfunktionär, der sich lautstark von Rechts distanziert zuhören, wie er die Medien noch öfter und schärfer angreift, als die Politik und im nächsten Atemzug die Streichung der Entwicklungshilfe fordert.
Revolutionen begannen in der Geschichte sehr selten dadurch, daß irgendein Visionär die Menschen von irgendeiner neuen Staatsordnung überzeugte. Sie begannen fast immer dadurch, daß die Menschen in einer Krisensituation das einforderten, was sie als ihre alten, überlieferten und verbrieften Rechte ansehen. Die amerikanischen Kolonisten forderten ihre Rechte als Engländer auf Repräsentation im Parlament. Die französische Revolution begann mit der Wiedereinberufung der Generalstände nach über einem Jahrhundert, eine geradezu reichsbürgerhafte Begebenheit. Und auch die Opposition gegen den Kommunismus im Ostblock wollte weitgehend nicht den Kapitalismus einführen, sondern verlangte die Versprechen des Sozialismus einzulösen. Solidarność ist ein Gewerkschaft.
Die Revolution denkt in den Formen des Ancien Régime und fordert daß dem Volk das gegeben wird, von dem es meint, daß es ihm von je her zustehe. Erst wenn diese Forderungen nicht erfüllt werden, oft genug, weil das alte System nicht in der Lage ist, sie zu erfüllen, ohne sich selbst zu zerstören, kommt es zum Ballhausschwur. Dann erst kommen die Visionäre und Denker des Morgens zu ihrem Recht. Es ist dies aber auch der gefährlichste Moment. Denn hier haben alle Normen ihre Gültigkeit verloren und die Krone liegt in der Gosse.
Die alten Rechte, die heute eingefordert werden sind zwei: Der Lebensstandard der alten Bundesrepublik und Meinungsfreiheit. Vielleicht kommt ein drittes hinzu: Daß man für diese Dinge auf die Straße gehen darf, ohne von der vereinigten Presse beschimpft und als Staatsfeind markiert zu werden.
Die große Frage lautet: Kann die Bundesrepublik im Jahr 2024 das überhaupt geben?