Nachdem wir uns alle über das Wahlergebnis geärgert haben, zur Abwechslung einmal etwas Gutes über die Boomer: Mit 70 Jahren geht Manowar noch auf Tour. Was denn auch sonst? In der Musik kommt nach den Boomern nur das Nichts.
(Manowar 2025)
„Wahrscheinlich sind da nur alte verbitterte Säcke“, sagt der Kerl, der mich auf dieses Konzert gebracht hat. Manowar 2025. Blood of our Enemies Tour. Damit sollte er sich irren. Das Publikum ist, wie man so sagt, ein Spiegel der Gesellschaft, im Schnitt eher jünger. Und Metal eben, die meisten jedenfalls. Lange Haare, lange Bärte, etwa ein Fünftel ist in Kutte gekommen, gut die Hälfte in Fanshirts. Das häufigste unter ihnen mit der Aufschrift: „Fight Until We Die“. Der Titel eines Liedes aus dem Jahr 2002.
Das Publikum ist so weiß, wie sonst nur in Klassikkonzerten und den weißhaarigen (kurz) und weißbärtigen (gepflegt) Mann vor mir, hätte man auch eher dort vermutet. Unter anderem hat seine Generation ja auch die Zeiten beendet, in denen es einen Faux Pas darstellte, in weinrotem Pullover eine Oper zu besuchen. Nicht, daß die Schiebermütze seinem Auftreten keinen stimmigen Gesamteindruck verschafft hätte.
Der Mann sitzt vor mir. Es gibt inzwischen nämlich auch auf Metalkonzerten Sitzplätze. Was mich nicht wenig schockiert hat. Noch schockierter bin ich, als ich erfahre, daß auch wir Sitzplatzkarten gekauft haben. Nun, ich passe mich an und nutze die Lage. Ich stelle (!) mich einfach ganz hinten auf die Tribüne. Von der Position auf der ich stehe, sehe ich nicht nur die Bühne, auf der Manowar in der typischen Aufmachung steht, die an Conan den Barbaren erinnert, sondern auch die Menge der Zuschauer unter mir. Der Saal ist bis auf den letzten Stehplatz gefüllt.
Was bringt Menschen, die im Durchschnitt vielleicht etwas mehr als halb so alt sind, wie die Musiker, sich dieses Urgestein des Heavy Metal anzuhören? Denn die sind nun nicht mehr die Jüngsten. Von den beiden Gründern, die seit 1980 dabei sind, ist der Bassist und Bandleader Joey DeMaio siebzig. Sänger Eric Adams zweiundsiebzig. Scott Columbus, der bekannteste Schlagzeuger aus fünf Jahrzehnten Bandgeschichte, starb schon 2011 im Alter von 54 Jahren. Von meiner erhobenen Position kann ich zu gut sehen, daß anderthalb Stunden auf der Bühne Abrocken sichtbar anstrengend geworden ist. Die Beinarbeit ist kaum noch vorhanden, auch wenn Manowar nie eine Gruppe war, die während der Aufführung quer über die Bühne gesprintet wäre und auch das Haedbangen war bei ihnen immer dezenter, als bei so vielen Nachahmern, die es offenbar nötig haben ihre Haare ins Publikum zu schleudern um ihre Metal-Credentials zu beweisen. Manoawar ist auch ohne solchen Zirkus TRVE.
Ich kann auch sehen, wie brillant die Inszenierung es versteht, über die Folgen des Alters hinwegzugehen. Als das Saallicht erlischt tauchen die Bühnenscheinwerfer die vier Musiker in flüssige Bronze. Wie Statuen stehen sie da. Die Riffs sitzen immer noch. Was auch sonst? Erst letztes Jahr stellte Joey DeMaio zusammen mit seinem Gitarrenkollegen Michael Angelo Batio, der auch nur zwei Jahre jünger ist, einen Geschwindigkeitsrekord im Gitarre-Bassgitarre-Duett auf. 30 Noten in der Sekunde. Eric Adams Stimme hat ihren unverwechselbaren Klang, ihren schrillen Schrei, bei dem doch jede Note sitzt, nicht verloren, doch inzwischen muß er ständig hinter dem Bühnenvorhang verschwinden, um ein Glas Wasser zu trinken. Doch was nach ständiger Unterbrechung klingt, ist ins Programm eingefügt. Nur einmal, da geht Adams mitten im Lied die Stimme aus. Er tritt einige Schritte vom Bühnenrand zurück, so daß man ihn unten nicht mehr sehen kann. Nach einem Handzeichen zu DeMaio verschwindet er hinter der Bühne und der überspielt die ungeplante Pause mit einer Bassimprovisation.
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