Immunitas, Sacrosanctitas et Clementia
Biden wie Trump begnadigen ihre Gefolgsleuten. Einmal ausgesprochen kann eine Begnadigung nicht mehr zurückgenommen werden. Wie in Rom wird das formale Recht zum letzten Anker einer gespaltenen politischen Klasse.
(Bild: Midjourney)
Schamloser Machtmißbrauch, oder Schutz verdienter Staatsdiener vor der Rache eines unberechenbaren Populisten. So interpretieren die entsprechenden Lager in den Vereinigten Staaten die Begnadigungen, welche Präsident Biden Stunden vor dem Ende seiner Präsidentschaft unterzeichnet hat.
Nicht anders, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, betrachten die verschiedenen Seiten nun einen Tag später Donald Trumps Begnadigung all derer, die wegen der Proteste im Kapitol am 6. Januar 2021 angeklagt oder verurteilt wurden.
Die Machtübergabe an Donald Trump ist friedlicher verlaufen, als viele befürchtet hatten. Aber wer glaubt, es wäre damit getan, oder daß es in den Vereinigten Staaten gar einen neuen Elitenkonsens gäbe, der sich hinter Donald Trump versammelt hätte, der sollte dadurch eines besseren belehrt werden. Trumps Begnadigungen könnte man unter anderen Umständen noch als Schlußstrich werten, doch aus der Liste, die Bidens Mannschaft dem senilen Präsidenten kurz vor Verlassen des weißen Hauses zum Unterschreiben vorgelegt hat, spricht die nackte Angst. Bei Bidens Begnadigungen handelt es sich um sogenannte präventive Begnadigungen. Das heißt, die Empfänger sind präventiv für alle Anklagepunkte innerhalb eines gewissen Zeitraums begnadigt. Anthony Fauci, der medizinische Hauptverantwortliche in Amerika zur Covid-Zeit etwa ist für alle Verstöße gegen Bundesgesetze von 1. Januar 2014 bis zum 20. Januar 2025, dem Datum der Begnadigung, begnadigt. Eine Begnadigung dieser Art hatte Biden bereits im Dezember 2024 für seinen eigenen Sohn Hunter ausgestellt.
Nun ist es in den Staaten bestehende Unsitte, daß ein scheidender Präsident kurz vor dem Ende seiner politischen Laufbahn eine Reihe von Kriminellen mit guten Verbindungen begnadigt. Trump unterzeichnete vor seiner eigenen Amtsübergabe 2021 noch schnell 143 Begnadigungen, die Liste ein Sammelsurium aus persönlichen Freunden, politischen Weggefährten, Finanzkriminellen, korrupten Politikern und einigen Rappern mit den in ihren Kreisen üblichen Drogen- und Gewaltdelikten, mit deren Begnadigung Trump seine Beliebtheit bei den Schwarzen steigern wollte. Die längste Liste an Begnadigungen und Strafmilderungen hat seinerseits Barack Obama angehäuft, er kam auf 212 Begnadigungen und 1715 Strafminderungen. Seine Anzahl der Strafminderungen war höher, als die seiner dreizehn Vorgänger zusammengenommen. Neben politischen Gefallen spielte bei Obama auch schwarze Solidarität eine Rolle.
Doch was nun geschieht ist, daß die Begnadigung zu einem Rechtsinstrument wird, mit dem beide Parteien sich vor den juristischen Repressalien der jeweils anderen Seite absichern. Dies ist dreierlei zugleich: Ein stabilisierender Faktor und Zeichen struktureller politischer Instabilität, sowie ein Bruchpunkt an dem diese Instabilität in Zukunft wieder ausbrechen kann. Eine Instabilität in der man versucht sich einzurichten, weil ihre Überwindung nicht als realistisch erscheint.
Wer die römische Geschichte kennt, dem wird das alles vertraut vorkommen. Eine weit unterschätzte Tradition, die aus der römischen Antike auf die modernen Verfassungen überkommen ist, ist die politische Immunität vor Strafverfolgung.
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