Kriegsziellogik und Völkermord
Ich habe mich geirrt. Als der Krieg zwischen Israel und der Hamas ausbrach, war ich der festen Überzeugung, daß die Israelis reinen Tisch machen würden.
(Bild erstellt mit Midjourney)
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Tatsächlich schienen mir all diejenigen, die das Gegenteil behaupteten als Jubelperser der dritten Welt, nicht weniger verblendet als Berufstransatlantiker, die Selenskyjs Ukraine eine ernsthafte Chance, gegen die russische Armee einräumten. Ja, dachte ich mir, wie den Russen in der Ukraine, so würden den Israelis einige peinliche Fehler unterlaufen. Doch Versorgungslastwagen, die in kilometerlangen Staus feststecken, Panzerangriffe bei denen sich die Infanterie nicht zur Deckung aus dem Schützenpanzer traut und, seit neuestem, Fahrzeuge ohne Schutz gegen Ali-Express Drohnen, sind normal, wenn eine Armee erst den Friedensstaub abschütteln muß. Der Unterschied zu früheren Zeiten ist lediglich, daß so etwas heute zur Belustigung des weltweiten Internets in Echtzeit übertragen wird. Daran, daß die Israelis sich fangen würden, hatte ich keine Zweifel. Was sollte sie daran hindern, in Gaza die Schlacht um Bachmut zu wiederholen?
Militärisch hat sich die IDF zwar mühelos in der Lage erwiesen, Gaza unter Blockade zu halten und Hungersnöte in der Zivilbevölkerung auszulösen, doch das ist es auch. Die Tunnel der Hamas auszuheben ist bisher nicht gelungen. Was außerhalb Israels weniger beachtet wird, aber im Land selbst für erheblichen Unmut mit der Regierung Netanjahu sorgt: Ein Rückkehr der vor dem Raketenhagel der Hisbollah geflohenen Israelis in ihre Häuser nahe der libanesischen Grenze ist ebenfalls nicht in Sicht. Wie weiter?
In einer anderen Frage habe ich mich leider nicht geirrt: Der Nahostkonflikt ist so verfahren, daß auf beiden Seiten die Moderaten ihren Leuten keine praktikablen Lösungen anzubieten haben, während die Vorschläge der Radikalen grausam sein mögen, aber den unbestreitbaren Vorteil haben, daß sie prinzipiell umsetzbar sind. Weil dies inzwischen unter Israelis wie Palästinensern den meisten Leuten klar ist, setzen sich die Radikalen inzwischen zuverlässig durch.
Wenn eine gezielte Ausschaltung palästinensischer Milizen nicht möglich ist, dann steht Israel vor dem Problem, daß ihm nur die Wahl zwischen Völkermord und Niederlage bleibt. Denn dahingehend haben die Unterstützer Israels recht: Hamas und andere palästinensische Widerstandsorganisationen verstecken sich hinter der Zivilbevölkerung. Die Gegenfrage muß freilich lauten: „Was sollen sie denn sonst tun?“
Aus rechtlicher, wie moralischer Hinsicht bietet der Nahostkonflikt seit eh und je das unerbauliche Schauspiel, daß beide Seiten von der jeweils anderen, die Einhaltung eines Kriegsrechtes fordert, das auf die Situation eines asymmetrischen Kriegs um Land nicht anwendbar ist. Kurz: Beide Seiten fordern von der anderen den Selbstmord durch die Beachtung von Normen, die auf einen Krieg zwischen regulären Armeen europäischer Staaten zugeschnitten sind.
Wie bei allen Kämpfen um Siedlungsgebiet, bei denen ja nicht beide Seiten dasselbe Land haben können, ist die Frage der Moral eine Frage des Datums. An welchem Stichtag waren die Besitzverhältnisse denn legitim? Die Israelis vertreten hier die beiden Extreme: Vor der Niederschlagung des Bar-Kochba Aufstandes durch die Römer und heute. Die Palästinenser fordern, je nachdem wie zuversichtlich sie sind, entweder die Rückgängigmachung der israelischen Landnahme von 1947 bis 1949, der Nakba (Katastrophe) im palästinensischen Sprachgebrauch, oder aber zumindest die Grenzen vor dem Sechstagekrieg.
Nun kann auch ein solcher Konflikt in einem Kompromiß enden. Vor allem, wenn eine militärische Lösung beiden Seiten als zu teuer oder ungewiss erscheint.
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