Letzten Monat schrieb ich darüber, daß viele der Erzählungen, welche wir heute vorschnell der Populärkultur oder dem Nerdtum zuordnen vielmehr neue Mythen sind. Die Entsprechungen unserer Zeit zu Illias und Nibelungenlied.
(Jean-Luc Picard: Stefan Kühn, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons;
2011 - Space Marine: EMR -, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons)
Mythen bilden einen kulturellen Referenzrahmen, über den wir zu einem großen Teil die Welt um uns herum interpretieren. Meine Kernthese zu diesen neuen Mythen ist, daß sie kein Produkt des abendländischen Kulturverfalls sind. Die Mythenwelt ändert sich, weil sich die Welt um uns herum geändert hat und weiter ändert. Die Mythen der Agrargesellschaft, das ist die Illias ebenso, wie das Nibelungenlied, reichen nicht mehr aus, um unser heutiges Leben zu deuten. Harry Potter etwa, wie ich im oben verlinkten Text erklärt habe, behandelt das Erwachsenwerden als Konfrontation mit der Sterblichkeit, welche einem in der Kindheit unbewusst war. Dieses Thema gibt es erst, seit die moderne Medizin einen sterblichkeitsfreien Raum der Kindheit geschaffen hat.
In diesem Text möchte ich auf eine politische Dimension der neuen Mythen eingehen. Mythologie deutet den Menschen ihre gesamte Umwelt auf die eine oder andere Weise, sie auf politische Motivationserzählungen zu reduzieren, wäre eine sträfliche Verkürzung. Aber das politische ist eben auch etwas, daß den Menschen durch ihre Mythen gedeutet wird, von Erzählungen wie dem Rolandlied, welches von der traditionellen Feindschaft zwischen Christentum und Islam handelt, bis zur Subtilität von Shakespeares Dramen. Das ist alles nichts neues. Neu ist seit dem Ende der Agrargesellschaft allerdings die Spaltung in Links und Rechts als zweier grundsätzlicher Umgangsweisen mit den gewaltigen Veränderungen menschlicher Lebensweise, welche wir mangels tieferen Verständnisses mit dem Wort „Moderne“ belegt haben.
Zunächst ist hier eine grundsätzliche Unterscheidung zu treffen zwischen neuen Mythen, deren Thema der linke oder rechte Umgang mit der Moderne ist und solchen, die nur in das Gezerre des Kulturkampfes geraten sind.
Letztere Gruppe ist in den letzten Jahren beträchtlich gewachsen, seit die Radikalisierung der Linken zur woken Hysterie, die Umschreibung und Neuverfilmung von allem und jedem fordert, daß auch nur die Normalität von vor 20 Jahren darstellt. Für den Wokeismus ist dies eine Lebensnotwendigkeit, da er die Erinnerung an die vorangegangene Welt auslöschen muß, um auch nur irgendeine Chance auf Erfolg zu haben. Es genügt ihr nicht, die konkurrierende Vision eines politischen Gegners zu bekämpfen. Schon die Darstellung einer Welt, in der heterosexuelle Beziehungen einfach normal sind, ist für das woke Projekt inakzeptabel. Deshalb müssen die Woken „in alles die Politik reinbringen“ und können auch unpolitische Geschichten nicht einfach stehen lassen, weil aus der woken Perspektive eine Geschichte mit einem mit einem weißen, heterosexuellen, männlichen Helden eben nicht unpolitisch ist. Angesichts der Natur der heutigen Linken, ist an den Umschreibungen bekannter Bücher, den nach George Lucas gedrehten Star Wars Filmen, Rings of Power und dem ganzen Rest, eigentlich nur verwunderlich, daß es überhaupt Menschen gibt, die sich darüber wundern. Wenn eine Bewegung, wie die heutige Linke, bestrebt ist, das komplette Bewusstsein einer ganzen Zivilisation auf den Kopf zu stellen, dann reicht es nicht, die Geschichte zu verfälschen, auch die Geschichten müssen umgeschrieben werden. Die fiktiven Erzählungen deuten den Menschen nicht weniger ihre Welt, als die jene Geschichtsschreibung, mit der sich die Historiker befassen.
Trotz aller politischen Polarisierung ist die Gruppe der Erzählungen, welche in ihrem Kern linke oder rechte Weltanschauung und Moralität behandeln ziemlich überschaubar. Sich mit diesem zu befassen ist doppelt aufschlußreich. Zum einen sagt sie uns etwas über den Umgang der neuen Mythen mit der Politik. Interessanter allerdings ist es zu fragen, was uns diese Mythen über Links und Rechts zu sagen haben.
Die beiden Erzählungen, welche unter den neuen Mythen die entgegengesetzten Pole von Links und Rechts in ihrer reinsten Gestalt repräsentieren, sind Star Trek für die Linke und Warhammer 40.000 für die Rechte. Beides Science-Fiction Universen, mit treuer Fanbasis und einem kulturellen Fußabdruck, der deutlich über Trekies und die Sammler von Games Workshops Miniaturen hinausgeht. Die politischen Absichten und Ansichten der Schöpfer dieser Universen sind für die Einordnung als Links oder Rechts vollkommen irrelevant. Die Unbedarftheit der politischen Meinung von Künstlern ist sprichwörtlich. Künstler können dennoch einen privilegierten Zugang zum Politischen haben, aber es ist derselbe Zugang, den sie zu allem Menschlichen haben: Ein instinktives und bildhaftes Erfassen, welches im ästhetischen Ausdruck impliziert der Welt mitgeteilt wird.
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