Männer machen Geschichte – Meditation zum Attentat auf Donald Trump
Zentimeter, Sekunden. Daß der Verlauf der Weltgeschichte davon abhängen kann, haben wir fasst vergessen.
(Bildquelle: Caesar: Museum of antiquities, Public domain, via Wikimedia Commons
Trump: Shaleah Craighead, Public domain, via Wikimedia Commons)
Wir haben vergessen, daß die Weltgeschichte von Männern gemacht wird. Es widerspricht dem demokratischen Geist, der unser aller Denken verkleistert. Der Gedanke ist ihr unerträglich daß die Taten eines Einzelnen der Berechenbarkeit entgehen, die trotz aller methodischen Unsicherheit die Handlungen der Masse zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung und Prognose macht. Daß damit einzelnen Wenigen eine Freiheit vergönnt ist, die Masse schon deshalb nicht haben kann, weil sie eben Masse ist.
„Der Mensch als Einzelner ist ein unergründliches Mysterium, in der Masse wird er zur mathematisch berechenbaren Größe.“ lässt Arthur Conan Doyle seinen Sherlock Holmes sagen. Doch das Tun und Lassen dieses Mysteriums kann zählen. Wenn es denn der richtige ist. Der richtige Mann zur richtigen Zeit ist kein statistisches Rauschen im Küchengesang der viel zu vielen Köche, die sich selbst in den Brei der Geschichte verkneten.
"Wäre die Geschichte eine exakte Wissenschaft, so müßten wir im Stande sein die Zukunft der Staaten zu enthüllen. Das können wir aber nicht, denn überall stößt die Geschichtswissenschaft auf das Räthsel der Persönlichkeit. Personen, Männer sind es, welche die Geschichte machen."1
Seit Heinrich von Treitschke diesen Satz ausgegeben hat, haben Geschichtswissenschaft und Soziologie sich an seiner Widerlegung versucht. Die Erfolge waren im Einzelnen gewaltig. So gewaltig, daß wir heutigen uns keine Vorstellung davon machen, wie ungewöhnlich unsere Sicht auf die Geschichte für die Menschen im größten Teil derselben gewesen ist. Plutarch, der Biograph, dessen persönliche Darstellungen der großen Männer der moderne Historiker so wenig entnehmen kann, daß er als Märchenonkel verschrien ist, galt noch dem 18. Jahrhundert als Ideal eines Geschichtsschreibers. Persönliche Schicksale großer Männer: Das war die einzige Art, wie jahrtausendelang überhaupt Geschichte erlebt wurde. Ihre Kämpfe, ihre Entscheidungen, ihr Siegen oder Scheitern, ihre persönlichen Eigenschaften, ihre Vorzüge und Fehler, ihre Weisheit und Verblendung. Davon erzählte die Geschichte, nicht von Veränderungen der sozialen Parameter.
Der Soziologenblick der der Geschichte das Geheimnis ihres Verlaufes abrechnen will, ist sehr jung. Er hat, daß muß ihm ohne jeden Zweifel zugestanden werden, ein ganz neues Fenster aufgestoßen. Einen Blick hinter die bloßen Ereignisse, der vergangenen Generationen verschlossen war und es ist dem modernen Menschen nachzusehen, daß er sich auch hier den Vorfahren für ähnlich überlegen hält, wie auf dem Gebiet der Physik.
Nur kommt es eben nie dazu, daß die Sonne doch auf einmal um die Erde kreist. In der Weltgeschichte aber stoßen wir trotz aller Erfolge darin, die großen Entwicklungen in Zahlen zu fassen immer und immer wieder an Treitschkes Mauer: An das Räthsel der Persönlichkeit.
Diese Persönlichkeit zählt, aber nur wenn sie die richtige ist. Es zählt eben nicht jeder, bei weitem nicht. Auch das hat man bei diesem Anschlag bis zur Grausamkeit gesteigert gesehen. Den Namen des Mannes, der durch den Attentatsversuch auf Trump tatsächlich getötet wurde, erfuhr man erst Sonntag Abend mitteleuropäischer Ortszeit. Corey Comperatore, ein Feuerwehrhauptmann und zweifacher Vater aus Buffalo, Pennsylvania wurde tödlich getroffen, während er seine Frau und seine Tochter zu Boden warf. Während ich dies schreibe kann ich nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob nicht noch ein zweiter getötet wurde, wie einige behaupten. Der Tod Comperatores und das Leid seiner Familie versinkt vor der Geschichte in die Bedeutungslosigkeit des Privaten. Der Anschlag, war der Anschlag den Trump überlebt hat. Nicht der Anschlag, bei dem Comperatore starb. Und so wird es bleiben.
Was ist es, daß einen einzelnen Menschen so wichtig macht? Einen aus Millionen. Erfolgt die Auswahl, wenn sie schon nicht demokratisch seien kann, wenigstens meritokratisch? Wird man eine weltgeschichtliche Persönlichkeit Kraft eigener Fähigkeiten? Nein, auch das reicht nicht, Obwohl Fähigkeiten notwendig sind, um große Aufgaben zu vollbringen. Ist es denn ein blindes Gottesgnadentum, wie man es den Erbmonarchen nachsagte, die nur in die richtige Erbfolge hineingeboren werden mußten? Auch das nicht. Abgesehen davon, daß es einen Zufall der Geburt nicht gibt, weil jedes Kind das Kind eben genau dieser Eltern ist, ist die Geschichte übervoll mit gekrönten Häuptern deren einzige Bedeutung in ihrer Bedeutungslosigkeit liegt, darin, daß sie eben keine Personen von geschichtlichem Rang waren.
Menschen mit Fähigkeiten gibt es viele. Vor einiger Zeit versuchte jemand mathematisch zu beweisen, daß Shakespeare mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der größte Dichter in englischer Sprache gewesen seien kann. Warum? Weil zu seiner Zeit kaum eine Million Menschen in englischer Sprache des Lesens und Schreibens mächtig waren. Heute sind es über eine Milliarde. Wie hoch ist also die Wahrscheinlichkeit, daß das größte dichterische Talent dieser Sprache ausgerechnet zur Zeit Elisabeths I. lebte? Sicherlich überschätzen wir Shakespeare einfach deshalb, weil er schon so alt ist, weil er irgendwie willkürlich in den Literaturkanon aufgenommen wurde. Nun das größte Talent aller Zeiten war er vielleicht nicht. Aber das Talent ist noch nicht der Dichter. Wahrscheinlich leben heute hunderte, oder sogar tausende Menschen mit dem Talent Shakespeares. Sie alle zusammen werden für die englische Literatur nicht die Bedeutung dieses einen Mannes haben.
In Kunst oder Politik ist die Bedeutung eins Mannes diese schwer zu fassende Größe, die in seiner Person wurzelt aber diese Person skaliert. Irgendwo, keiner kann genau sagen wo, gab das Schicksal ihm den Hebel in die Hand um die Welt aus den Angeln zu heben. Der Hebel selbst kann dann wieder untersucht werden. Die makedonische Phalanx. Die französischen Revolutionsarmeen. Doch das erste ist noch nicht Alexander und das zweite noch nicht Napoleon.
Wir rechnen uns unser Schicksal aus. Heute mehr als in jeder anderen Zeit. Einwanderungssalden, Migrantenanteile, Bruttoinlandsprodukte und Staatsschuldenquoten. Die langfristigen Trends untermalt vom Stakkato der Umfragewerte. Zweieinhalb Prozentpunkte, gewonnen oder verloren. Und all das ist richtig. Und alle diese Berechnungen sind gültig und nichts verliert seine Macht. Der große Mann fällt nicht vom Himmel, selbst nicht wenn er das Mandat des Himmels hat. Doch irgendwie sind so viele Variablen dieser großen Welt mit einem einzigen Menschen verwoben, daß er zur unstetigen Stelle in der Funktion wird. Und was festgesetzt erscheint, beginnt zu springen. Die soziologischen Gewissheiten, die ja darauf beruhen, daß jeder so handelt, wie alle anderen es von ihm erwarten und daß er ja gar nicht anders kann, ohne wie ein Insekt zertreten zu werden, verschwinden durch die Tat.
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Treitschke, Heinrich (1899) Politik, Vorlesungen gehalten an der Universität zu Berlin, , 1. Band, 2. Auflage. Leipzig , Einleitung S. 6, Link:https://archive.org/details/politik01trei/politik01trei/page/6/mode/2up?view=theater