Nichtverbotsstrategie – Zum Umgang mit der Justiz
Die Alternative für Deutschland ist die mit Abstand größte rechte Organisation, die jemals gegen den Verfassungsschutz geklagt hat. Nun ist die Partei im Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen erneut mit dem Versuch gescheitert, eine Beendigung ihrer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu erwirken.
(Bild erstellt mit Midjourney)
Die Urteilsbegründung gibt aber einigen Grund zur Hoffnung, weil das Gericht sich, anders als einige seiner Vorgänger zu einer tatsächlich juristischen Urteilsbegründung herabgelassen hat, anstatt es bei einer zusammengestoppelten Sammlung von Zitaten und Unterstellungen im Stil der Gegen-Rechts-Experten zu belassen.
Deshalb die Frage: Wie soll mit den Gerichten umgegangen werden? Wenn man selbst angeklagt wird stellt sich diese Frage nicht, dann muß man da erscheinen. Dasselbe gilt auch für Organisationen. Deren juristische Strategie muß vor allem anderen verhindern, daß sie verboten werden. Aber soll weiter aktiv versucht werden, staatliche Repressionsmaßnahmen wegzuklagen?
Im Einzelfall mag das sinnvoll sein, vor allem dann, wenn eine untergeordnete Stelle eine auch nach den Maßstäben der gegenwärtigen Machthaber absurde Maßnahme getroffen hat. Martin Sellners erfolgreiche Klage gegen das von der Stadt Potsdam gegen ihn verhängte Einreiseverbot ist ein gutes Beispiel dafür. Aber wenn es um die großen Klagen geht, gegen die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht, gegen die Beobachtung und so weiter und so fort, kann die Antwort meiner Meinung nach nur „nein“ lauten. Die richtige Strategie im Umgang mit der Justiz konzentriert sich auf das Überleben. Und zwar aus zwei Gründen:
Der Erste ist, daß man nüchtern auf die Möglichkeiten und Grenzen der Justiz in politischen Verfahren blicken muß. Das ist etwas komplizierter als die stumpfe Feststellung, daß der Rechtsstaat verloren sei. So einfach ist das nicht. Einer meiner Lieblingsdozenten im Politikwissenschaftsstudium pflegte zu sagen: „Das Recht ist die Hure der Politik.“ Damit hatte er recht, aber man muß trotzdem anfügen, daß der Unterschied zwischen der maîtraisse en titre und einer Straßennutte nicht trivial ist.
Zum Juristen wird man ja weniger ausgebildet, als abgerichtet. Genauer, man wird dazu abgerichtet sein normalmenschliches Urteil aus und ein formaljuristischen Kriterien folgendes Urteil einzuschalten. Darüber empören sich Nichtjuristen, oder machen sich lustig, je nachdem wie schmerzhaft sie selbst gerade betroffen sind. Aber diese Abrichtung hat den Zweck, den Juristen zu einem bestimmten Standesethos zu erziehen. Ohne den juristischen Standesethos wäre Rechtssicherheit nicht möglich, jeder Richter würde nach dem entscheiden, was sich für ihn irgendwie „gerecht“ anfühlt. Heutzutage haben Juristen immer häufiger mit Berufskollegen zu tun, die diesen Standesethos nicht in sich tragen und sie verzweifeln daran, weil sie mit solchen Kollegen nicht auf der juristischen Ebene argumentieren können. Es ist seine ganz eigene Art von „ich habe aber Frühstück gegessen“.
Juristen, die diesen Namen auch verdienen, werden sich aus Berufsstolz, wenn schon aus keinen anderen Gründen, dagegen sträuben, ihren Namen unter ein Urteil zu setzen, welches juristischen Kriterien offenkundig nicht entspricht. Selbst dann, wenn sie politisch damit durchkämen und die Machthaber dies sogar von ihnen erwarten würden.
Trotzdem sind Gerichte im politischen Prozess engen Grenzen unterworfen. Dabei geht es nicht nur um Einflußnahme oder gar Druck aus der Politik. Es ist subtiler, als das Essen im Kanzleramt, oder die zukünftigen Karriereaussichten. Gerichte sind nicht vom Himmel herabgestiegen um der Auffindung von Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen. Gerichte sind Staatsorgane. Daß Gerichte Staatsorgane sind, heißt nicht, daß sie an Wahrheit oder Gerechtigkeit uninteressiert wären, es heißt aber, daß sie das nicht außerhalb des Ökosystems von politischen Institutionen und Tatsachen tun können. Im politischen Prozess sind Gerichte immer von einem Wechselspiel aus reiner Juristerei und der politischen Tatsachenwelt bestimmt. Das hat Folgen für die Strategie im Umgang mit der Justiz.
In unpolitischen Verfahren ist es ja so: Ein Anwalt der einen Klienten in einem Fall vertritt in welchem die Rechtslage als solche strittig ist weil kaum bis gar keine Präzedenzfälle vorliegen, wird normalerweise versuchen, die Gerichte von der seinem Mandanten günstigen Rechtsauffassung zu überzeugen. Oft geht es ihm nicht bloß um das konkrete Urteil im konkreten Fall. Die Urteilsbegründung kann wichtiger sein. Wenn der Mandant vor allem will, daß bestimmte Ansichten rechtsdogmatisch anerkannt werden, dann kann es für ihn zweitrangig sein, einen bestimmten Prozess zu verlieren, wenn die Urteilsbegründung einen juristischen Standpunkt vertritt, der für ihn günstig ist. Das Aufkommen des Internets brachte eine ganze Reihe solcher Prozesse. Die neue Technologie ermöglichte eine Vielzahl neuer Geschäftsmodelle, die nur unzureichend vom bisherigen Recht abgedeckt waren. Wenn nun ein Internetdienst einen Prozess, sagen wir wegen der Verletzung geistigen Eigentums verlor und Schadensersatz zahlen mußte, dann konnte das Ganze dennoch ein großer Erfolg sein, wenn nämlich die Urteilsbegründung aufzeigte, wie er sein Geschäftsmodell legal betreiben konnte. Umgekehrt konnte ein nur aufgrund einer vermeidbaren Formalie gewonnener Prozess trotzdem eine Katastrophe sein. Nehmen Sie einmal an, sie seien Google, oder Apple und hätte einen Weg gefunden, publizistische Werke zu verwerten, ohne den Urheber dafür zu bezahlen. Wenn Sie nun von einem Urheber erfolgreich auf Schadensersatz verklagt würden, würde Sie das trotzdem nicht groß stören, wenn ihnen das Gericht dabei einen Weg aufzeigen sollte, diese Verwertung fremder Inhalte ohne Bezahlung weiter zu betreiben, solange Sie dabei diese oder jene Formalie einhielten. Für die beteiligten Anwälte sind solche Verfahren der Gipfelpunkt ihrer Kunst. Es ist juristisches Denken in seiner höchsten Form.
Im politischen Prozess kann man so aber nicht verfahren. Das beste Beispiel dafür, was passiert, wenn man politische und unpolitische Prozesse verwechselt, liefert die Reihe an Prozessen, die eine Riege deutscher Professoren unter der Führung Karl Albrecht Schachtschneiders gegen die europäische Einigung und Währungsunion anstrengten. Nach jedem verlorenen Prozess erklärte Schachtschneider, in welchem rechtsdogmatischen Punkt das Gericht seine Ansicht übernommen hätte. Er schien zu glauben, daß es möglich sei, die deutsche Juristenzunft stückweise, Prozess für Prozess, von der Richtigkeit seiner eigenen Position zu überzeugen.
Damit übersah er natürlich vollkommen die Tatsache, daß das Gericht weder selbst eine eigene Europa-, noch eine eigene Währungspolitik machen konnte. Was hätte es denn entscheiden sollen? Daß jahrelange europäische Verhandlungsarbeit aus dem Fenster geworfen wird? Daß die Währung nicht gerettet werden darf? Es ist das alte, schon von Carl Schmitt beklagte Elend jedes Versuches, die Politik in Juristerei aufzulösen. Selbst das beste Gericht, das sich ernsthaft um korrekte und unparteiische Anwendung des Rechts bemüht, wird mit Entscheidungen beladen, die es gar nicht treffen kann.
An dieser Stelle muß man sich einmal mit wirklicher Empathie in einen Richter in dieser Situation hineinversetzen. Er ist ein Staatsdiener, der eine bestimmte, an streng formale Kriterien gebundene Funktion erfüllt ja. Aber er ist auch ein Mensch und ein Staatsbürger der sich mit der bestehenden Ordnung identifiziert. Fiat justitia et pereat mundus ist nicht die Devise nach der er handeln wird, nur weil ihn ein Anwalt in einem logischen Widerspruch gefangen hat. Und soviel Einfühlungsvermögen müssen wir schon aufbringen: Die Welt die dieser Richter schützen wird, wenn nötig auch gegen das Recht, ist seine Welt, die Welt der bestehenden Ordnung. Nicht diejenige von dissidenten Klageführern, mögen die sich selbst noch so sehr im Recht sehen.
Wenn, wie letzten Herbst, eine Kartellpartei aus der Opposition die Regierung vor den Kadi zieht wegen etwas, was man im privaten Geschäftsverkehr als Bilanzfälschung bezeichnen würde, dann ist das etwas anderes. Das kann funktionieren, aber das ist kein Präzedenzfall für Dissidenten.
Professor Schachtschneider erwartete, daß ein Gericht während einer schweren Wirtschaftskrise die Grundlage der europäischen Währungsordnung angreifen und den von allen maßgeblichen Parteien getragenen Prozess der europäischen Einigung zurückwerfen werde, um eines verletzten Demokratieprinzips willen.
Wer meint den Verfassungsschutz wegklagen zu können, der erwartet, daß ein Gericht während einer schweren Stabilitätskrise der politischen Ordnung derjenigen Institution eine öffentliche Ohrfeige erteilen wird, deren einziger Daseinszweck die Absicherung der Systemherrschaft ist und das zugunsten von Klägern die aus seiner Sicht zumindest latente Staatsfeinde sind.
Aber selbst wenn einmal einer Klage stattgegeben würde. Was wäre gewonnen? Das rechtsdogmatische Spiel kann auch von der Gegenseite gespielt werden und von ihr mit viel größerer Aussicht auf Erfolg, weil ihr eben nicht die Staatsraison der real existierenden Bundesrepublik im Wege steht. Aller Erfahrung nach wird ein solches Urteil in einem konkreten Fall dem Verfassungsschutz irgendetwas untersagen, aber in der Urteilsbegründung wird der Wink mit dem Zaunpfahl nicht fehlen, wie der Verfassungsschutz mehr oder weniger dasselbe legal weiter tun kann. Wahrscheinlich wird er nur seine Begründung für die Maßnahme weniger schlampig formulieren müssen. Daß sich der Praktikant beim VS einmal anstrengen muß, wird er einzige Erfolg sein.
Es gibt aber noch einen zweiten Grund, weswegen in Sachen solcher Klagen Zurückhaltung geboten ist. Dieser Grund hat mit den Inhalten zu tun, die dort konkret verhandelt werden.
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