Rechtsunsicherheit als Waffe
Es gehört zur Demokratie, daß manchmal auch die anderen gewinnen.
(Maarten van Heenskerck(1556):
https://de.wikipedia.org/wiki/Justitia#/media/Datei:Iustitia_van_Heemskerck.png)
Das Parteienkartell hat dies gerade in einer thüringischen Provinzstadt erfahren. Seine Reaktion ist gleichzeitig unterhaltsam und sehr ernst. Während ich dies hier schreibe, prüft das thüringische Innenministerium ob Sesselmann mangels demokratischer Gesinnung sein Amt verweigert werden kann.
Die Aufkündigung der vielbeschworenen „demokratischen Spielregeln“ ist jedoch nur die radikalste der Optionen, welche dem Parteienkartell verbleiben. Bedenklich, daß inzwischen mit diesem verfassungsrechtlichen Nullpunkt immer öfter und immer öffentlicher gespielt wird.
Ein offenes Verbot der AfD liefe auf einen Wettkampf der Straßenmobilisierung hinaus, bei dem die Kartellparteien offensichtlich der Aggressor wären, während den Anhängern der AfD nur die Wahl verbliebe zu kämpfen, oder zu kuschen. In ähnlich angespannter Lage, als auf der Höhe der Coronaproteste die allgemeine Impfpflicht geplant war, sind nicht nur die deutsche und österreichische, sondern alle westlichen Regierungen davor zurückgeschreckt es auf diese nackte Gewaltprobe ankommen zu lassen. (Trudeau in Kanada markierte zwar erst öffentlich den starken Mann und ließ schwere Repressalien verkünden, die dann aber nicht umgesetzt wurden und ließ bald alle Maßnahmen fallen.)
Es ist zu hoffen, daß auch ein weiteres Erstarken der AfD diese Rechnung nicht ändern wird, daß wenn schon keine Einsicht, dann wenigsten der Wunsch das Pfründesystem noch eine Weile zu behalten, die Verantwortlichen davon abhält, die Büchse der Pandora zu öffnen.
Vor dieser nicht mehr Rückgängig zu machenden Eskalation stehen freilich die bisher bekannten Maßnahmen in ihrer verschärften Anwendung. Daß sie zum Tragen kommen werden, ist als selbstverständlich vorauszusetzen. Doch uns beschäftigt etwas anderes.
Der Schattenmacher hat kürzlich einen Widerspruch des demokratischen Versprechens gut auf den Punkt gebracht:
„Die CDU/CSU ist der letzte und ehrlichste Verteidiger der Demokratie in Deutschland. Insgeheim wissen sie genau, dass das System nur fortbestehen kann, wenn sicher gestellt ist, dass sie am Ende doch klein bei geben und mit dem Strom schwimmen.
Deshalb auch die beständige Angst vor heimlich-riesenhaften Kräften des Umsturzes. Jede nüchterne Analyse lässt diese Aussicht lächerlich erscheinen, aber sobald man einräumt, dass es ECHTE Konflikte gibt, steht das ganze System sofort am Abgrund seiner eigenen Irrationalität.
Was die Demokratie nie logisch vermitteln kann, ist ihre Forderung, der Sieger möge ein Interesse am Fortbestand einer Opposition haben, welche Ziele verfolgt, die unvereinbar mit den eigenen sind. Demokratie kann so nur existieren, wenn eine Seite nicht wirklich gewinnen will.“
In echter Schattenmacher-Manier ist das vom Ausnahme- und Extremfall her gedacht. (Der Mann stammt viel mehr von Schmitt, als von Nietzsche. Schmitt schimpfte Nietzsche übrigens einen Romantiker.)
Was dabei allerdings nicht vergessen werden sollte ist, daß man sehr lange am „Abgrund seiner eigenen Irrationalität“ entlangtaumeln kann, wenn die einzige Alternative darin bestünde zu springen. Wenn man sich aber eine Weile am Abgrund aufhalten wird, dann muß man sich einrichten lernen. Die Frage ist dabei nicht bloß, wie lange man dort bleibt, sondern wie es es sich dort lebt.
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