Slavoj Žižek ist Rammsteinfan. Nun es gibt schlimmeres, was man über diesen Mann sagen kann. Etwa was für eine Art Rammsteinfan er ist: Die allerschlimmste!
(https://de.wikipedia.org/wiki/Slavoj_%C5%BDi%C5%BEek#/media/Datei:Slavoj_%C5%BDi%C5%BEek_2015.jpg)
Sein Buch aus der Coronazeit „Unordnung im Himmel – Lageberichte aus dem irdischen Chaos“1 besteht aus 35 Essays, gleich zwei davon befassen sich mit der deutschen Musikgruppe. Alle 35 hingegen sind ein Ausdruck der Verwirrung. Die Unfähigkeit zur Weltdeutung des linken Intellektuellen, jener Figur, die für ein halbes Jahrhundert im westlichen Gesellschaftssystem die Position des Chefideologen und des Hofnarren in Personalunion innehatte, das Scheitern an echte Krisen, an der Echtheit der Krise, die kein Einbildungsprodukt intellektueller Masturbation ist, sondern real und unbestreitbar vorhanden, springt aus jeder Seite. Ironischerweise wirkt das 2021 im Englischen erschienene und 2022 mit einigen Erweiterungen zum Ukrainekrieg im Deutschen veröffentlichte Buch bereits jetzt veraltet. Die Coronamaßnahmen sind fast vollständig aufgehoben. Massensterben fand nicht statt. Was bleibt ist ein Pharmaskandal. Die endlos sich windenden Meditationen Žižeks über das Leben in der Pandemie (Essaytitel: „Christus in Zeiten der Pandemie“, „Der Mut der Covid-19 Hoffnungslosigkeit“ und auch „‘Wir müssen leben bis wir sterben’: Was uns Rammstein über das Leben in der Pandemie zu sagen hat“) sind zu skurrilen Zeugnissen der Zeitgeschichte geworden.
Der Titel des Buches hätte aber treffender nicht gewählt werden können. Mao Tse-tung sagte einmal:
„Es herrscht große Unordnung unter dem Himmel; die Lage ist ausgezeichnet“.
Für Žižek ist die Bedeutung des Zitates klar:
„Wenn die bestehende Gesellschaftsordnung zerfällt, bietet das Chaos, das daraus entsteht, den revolutionären Kräften eine große Chance, die politische Macht durch entschlossenes Handeln zu übernehmen“. (S. 7)
Die sprachliche Nuance, die aus einem „unter“ ein „im“ macht, ist genial. Denn wie Žižek ausführt, „Unordnung unter dem Himmel“ setzt voraus, daß es immer noch einen Himmel gibt, eine übergeordnete Ordnung. Žižek drückt sich nach Kräften um das Wort „metaphysisch“, spricht in nostalgischer Reminiszenz auf den Marxismus von der „unerbittlichen Logik des Geschichtsverlaufes, den Gesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung“ (S. 8), doch das Gesuchte ist und bleibt die Metaphysik, freilich eine, die aus Perspektive Žižeks nicht einmal als solche bezeichnet werden darf, will er dem weltanschaulichen Feind kein Zugeständnis machen, daß einer Kapitulation gleichkäme.
Wenn „Unordnung im Himmel“ herrscht, dann fehlt entweder die metaphysische Ordnung, oder aber es gibt in einer Gesellschaft mehrere davon, die miteinander unvereinbar sind. Eine Polarisierung höherer Ordnung. Was davon Žižek meint, wird nicht ganz eindeutig, er spielt auf beides an, ohne den Unterschied zwischen beidem zu überbrücken. Denn wenn bloß mehrere metaphysische Ordnungen miteinander im Kampf lägen, dann bestünde die Lösung jeder auch nur halbwegs kämpferischen Weltanschauung darin, diesen Kampf zu gewinnen. Wer hingegen wie Žižek erklärt: „Auf den Himmel können wir dabei nicht bauen: Er enthält nichts, was uns die Lösung näherbringen könnte.“ (S.9) der hat sich nur scheinbar zum Materialismus bekannt. Eigentlich hat damit zugegeben, daß er keine metaphysische Ordnung, auch keine materialistische, anzubieten hat, die irgendwelche Lösungen begründen könnten. Infragegestellt ist gar nicht mehr das wie, sondern das warum seines Kampfes. Streng genommen kann er noch nicht einmal ein Problem benennen. Es bleibt das dumpfe Gefühl, daß es nicht so weitergehen kann.
Dieses Gefühl beschleicht Žižek auch angesichts der Auswüchse der Cancel-Culture. Nicht daß er mit deren Zielrichtung uneinverstanden wäre, als selbständig denkendem Menschen der er ist, stößt ihm der bevormundende Tonfall sauer auf. Und Žižek ist ein selbständig denkender Mensch. Bei allem Spott den wir hier berechtigterweise über ihn ausgießen sollten wir nicht vergessen, daß er weit über dem Diversity-Gesindel steht, daß den akademischen und kulturellen Betrieb dominiert.
So stört er sich daran, daß die Kunstausstellung der Werke Philip Gustons (1913-1980) abgesetzt wurde, mit der Begründung man müsse warten bis „die kraftvolle Botschaft der sozialen Gerechtigkeit und des Antirassismus, die im Zentrum von Philip Gustons Werk steht, klarer interpretiert werden kann“ (S. 31) Sehen wir einmal davon ab, daß die kraftvolle Botschaft der sozialen Gerechtigkeit und des Antirassismus im Zentrum von Philip Gustons Werk darin bestand, grob an den Ku-Klux-Klan erinnernde Kapuzenfiguren im Automobil und mit Zigarren in den Händen zu zeichnen. (Eine Maschinensuche nach „Philip Guston Now“ liefert die entsprechenden Kunstwerke, ich bin wie immer übervorsichtig mit dem Urheberrecht.)
Es ist doch vollkommen eindeutig, was hier geschieht: Ein üblicher sozialer Prozessablauf im linken Rotgardistentum. Irgendjemand hat sich über irgendwas beschwert, es mit irgendwelchen ideologischen Schlagworten verunglimpft. Dann fürchteten alle sich zu sehr vor der Reaktion des jeweils anderen um dagegenzuhalten und die lange vorbereitete Ausstellung wurde mit einer Begründung abgesagt, die vergeblich versucht die Würde der Institution zu wahren.
Da er das nicht zugeben kann, läßt Žižek sich auf eine Diskussion mit der Zensur über die Zweckmäßigkeit ihrer Mittel ein. Es müsse doch niemand befürchten, daß irgendjemand den Witz nicht verstehe und sich aufgrund der Bilder Gustons mit dem Ku-Klux-Klan identifiziere. Damit hat er zweifelsohne recht.
Nur dann vergleicht er die Cancelung Gastons mit der linksliberalen Kritik an Rammstein und entblößt dabei die Tatsache, daß er überhaupt nur im Raum des ironisch Gebrochenen zuhause ist und deshalb weder Kunst verstehen, noch
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