Souveränität und Zensur
Im geplanten TikTok-Verbot endet die elektronische Hegemonie der Vereinigten Staaten. Und mit ihr die Illusion des freien Internets.
(https://en.wikipedia.org/wiki/United_States_Capitol#/media/File:US_Capitol_west_side.JPG)
Während ich dies schreibe, wird der „Restricting the Emergence of Security Threats that Risk Information and Communications Technology Act“ vom Senatsparket bis in die letzten Winkel des anglophonen Internets heiß diskutiert.
Schon deshalb, weil zwar jeder weiß, was drinnen steht, aber niemand sagen kann, welche Tragweite das in erfrischender Ehrlichkeit mit dem Akronym „RESTRIC-Act“ betitelte Gesetz letztendlich haben wird. Es verleiht dem Secretary of Commerce, also dem amerikanischen Wirtschaftsminister und den ihm unterstellten Behörden (Teilweise in Rücksprache mit dem Präsidenten), weitreichende Befugnisse nicht weiter spezifizierte Maßnahmen zu treffen, um nicht näher definierte Transaktionen zwischen Bürgern der Vereinigten Staaten und äußeren Feinden der Vereinigten Staaten zu unterbinden, welche die digitale Sicherheit und eine ganze Reihe weiterer ebenso dehnbarer Rechtsgüter der Vereinigten Staaten oder ihrer Bürger gefährden könnten. Die Wagheit der Formulierungen kann bedenkenlos als Absicht unterstellt werden. Strafen von bis zu zwanzig Jahren Haft dürften davon abschrecken, die genauen Grenzen dieses Gesetzes vor Gericht auszuloten.
Erklärtes Ziel ist es, die Informations- und Kommunikationsinfrastruktur der Vereinigten Staaten von Amerika vor feindlichen Mächten zu schützen. Nicht etwa vor Hackern, sondern vor ausländischen Unternehmen, die sonst ganz legal auf dem amerikanischen Markt ihre Produkte und Dienstleistungen anbieten könnten. Damit geht eine Ära zu Ende.
Denn während die Amerikaner sich nun fragen, ob sie bei der Benutzung eins VPNs eine Haftstrafe riskieren, welchen Zugriff das Wirtschaftsministerium unter dem Vorwand der Durchsetzung dieses Gesetzes auf persönliche Daten erhält und ob auf diesem Wege Bitcoin verboten werden könnte, sieht der Rest der Welt das Eingeständnis verlorener Hegemonie im digitalen Raum.
https://twitter.com/TulsiGabbard/status/1645019136920293376
Anlaß dieses Gesetzes ist die chinesische Videoplattform TikTok. Die Regierung der Vereinigten Staaten will den Zugriff ihrer Bürger auf Medienplattformen unterbinden, die einem weltpolitischen Rivalen gehören. Die dazu getroffene Maßnahme gleicht in ihrer Unbestimmtheit und Willkür denjenigen, die bisher nur Gegner der Vereinigten Staaten erlassen haben, um ihren nationalen Cyberspace vor der Hegemonie amerikanischer Technologiekonzerne abzuschirmen.
Der Vorgang enthüllt eine grundsätzliche Tatsache: Souveränität erfordert Zensur.
So etwas wie neutrale Plattformen, oder neutrale Algorithmen, gehören genauso ins Reich der Legenden, wie ein neutraler Journalismus. Vom Journalismus unterscheiden sich Internetplattformen jedoch durch ihre prinzipiell in der Technik angelegten Transnationalität. Journalismus bleibt in sehr erheblichem Maße an die Sprachgrenzen gebunden. Selbst in einer Zeit, in der das Englische global dominant ist und in der ein gebildeter Mensch, der es nicht fließend schreibt, liest und spricht ebenso eine contradictio in adjecto ist, wie früher ein gebildeter Mensch, der kein fließendes Latein beherrschte, bleiben diese Sprachgrenzen weitgehend stabil.
So erzeugt jede Sprache immer noch ihre eigene nationale Noosphäre, ihren Geistesraum geteilter Verständigung, der von der überwölbenden Englischsprachigkeit nicht ersetzt werden kann. Das klingt jetzt sehr hochgestochen, bedeutet aber nichts anderes, als daß eine gemeinsame Sprache zu einem gemeinsamen Referenzrahmen des bewussten und unbewussten Wissens führt, einfach weil in dieser Sprache bestimmte Dinge verbreitet werden und andere nicht. Das reicht von philosophischen Begriffen, bis hin zu normalen Nachrichten. Ein deutschsprachiger Rechter hat heutzutage meist eine ungefähre Vorstellung wer Maria Ladenburger war, ein französischer Rechter wird das nicht wissen, weil ein Mord in einer deutschen Stadt in der französischsprachigen Presse eine viel geringere Rolle spielt, als in der deutschsprachigen.
Der geteilte Geistesraum einer Sprache betrifft aber nicht bloß Information, sondern auch Interpretation: Ein Deutscher interpretiert dieselbe Nachricht ganz von selbst anders als ein Franzose, wie man gerade an den deutschen Reaktionen auf Macrons Aufrufe zur strategischen Autonomie Europas gegenüber den Vereinigten Staaten studieren kann. Jeder Franzose, selbst, vielleicht gerade wenn er nicht besonders politisch ist, versteht diese Appelle als Politfolklore, die seit de Gaulle zu einem französischen Präsidenten einfach dazugehören. Deutsche Beobachter reagieren ganz unterschiedlich auf Macrons Aussage, haben aber meist gemein, daß sie sie ernst nehmen und damit fehlinterpretieren.
Für die Beeinflussung der Öffentlichkeit eines fremden Landes ist diese Noosphärenbarriere ein erhebliches Hindernis. Den sie entsteht zwar vor allem durch die Sprache, ist aber durch bloßes Fremdsprachenstudium nicht zu überwinden.Natürlich ist es, das entsprechende Kleingeld vorausgesetzt, kein Problem entsprechend sprachkundiges Personal aufzutreiben. Nur genügt das nicht, um von den Menschen des Ziellandes als natürlicher Teil des eigenen Diskurses wahrgenommen zu werden. In man wird als Fremder erkannt, selbst wenn man nicht wie Russia Today, oder die Deutsche Welle das Herkunftsland im Namen trägt. Ausländische Propaganda wirkt fast immer etwas deplaziert und um so deplazierter, je ferner sich die beiden betreffenden Völker sind. Es gibt heute kaum einen größere noosphärische Barriere, als die zwischen dem Westen und der Volksrepublik China und man schaue sich einmal chinesische Propaganda für westlichen Konsum an.
Soziale Medien funktionieren etwas anders.
Diese Noosphärenbarrriere existiert auch hier, aber nur für die Inhalte, die geteilt werden. Für die Algorithmen spielt sie hingegen kaum eine Rolle. Man muß nur sehr wenig von einem anderen Land verstehen, um Anzeigen und Suchfunktionen dazu zu bringen, eine bestimmte Richtung zu favorisieren. Den Rest erledigen dann die vom Algorithmus geförderten Medienschaffenden des Ziellandes.
Entscheidend ist aber: Anders als im Journalismus, wo jede Sprache einen eigenen nationalen Markt schafft, sind Internetplattformen globale Spieler und dies auf einem Markt mit einem natürlichen Hang zur Monopolbildung. Wo kein Staat eingreift setzt sich für jeden Typ Plattform ein einziger Marktführer als fast unumstrittener Anbieter durch. Außerhalb derjenigen Staaten, die ihr eigenes Internet vor ihnen abgeschirmt haben, gibt es keine relevanten Mitbewerber für Google, Amazon, Facebook, Youtube, oder Twitter. Nun hat mit TikTok zum ersten Mal ein chinesisches und kein amerikanisches Unternehmen diesen Status des globalen Monopolisten erlangt. Und wie die Volksrepublik sich durch die große Firewall vor Google, Amazon und Twitter abschirmt (weswegen sich Baidu, Alibaba und Weibo etablieren konnten) planen die Vereinigten Staaten nun ihrerseits mit einem Verbot zu reagieren.
Das ist weit mehr, als nur ein Kampf um Marktanteile. Es geht um Souveränität. Im Zeitalter transnationaler Informationstechnologie verliert ein Staat die eigenständige Handlungsfähigkeit, wenn er nicht in der Lage ist zu entscheiden, welche Informationsdienstleistungen und welche Plattformen innerhalb seiner Grenzen erreichbar sind und welche nicht. Notwendigerweise bedeutet dies, daß ein Staat nur dann seine äußere Unabhängigkeit waren kann, wenn er, das heißt seine Regierung, darüber entscheidet, welche auswärtigen Internetdienste seine Bürger nutzen dürfen und welche nicht.
Solange ihre eigenen Unternehmen die einzigen globalen Marktführer waren, konnten die Vereinigten Staaten und ihr verbündeter Anhang das eigene Internet offen halten. Ab Mitte der 2010er Jahre begann zwar eine verstärkte Zensur, aber die Sperrungen trafen Accounts und wurden von den Betreibern selbst durchgeführt, der Staat sperrte nur sehr selten ganze Seiten. Die Blockade gegen russische Staatsmedien war angesichts ihrer geringen Bedeutung und ihrer offensichtlichen Probleme die noosphärische Barriere zu überwinden noch mehr eine Trotzreaktion der in der weltpolitischen Bedeutungslosigkeit versinkenden EU, als eine wirksame Zensurmaßnahmen. Das Aufkommen von digitaler Marktführer aus anderen geopolitischen Blöcken setzt dieser Epoche eines scheinbar freien, tatsächlich aber durch die Hegemonie US-amerikanischer Anbieter beherrschten Internets ein Ende.
Da nicht jedes Land seine eigene Digitalinfrastruktur aufbauen kann und das Gesetz der komparativen Kostenvorteile auch im Internet gilt, weswegen es gewinnbringend ist mit anderen Staaten einen geteilten Markt zu haben, werden wir keine 193 nationale Intranets sehen, wohl aber eine Abschottung zweier, vielleicht einmal dreier geopolitischer Blöcke gegeneinander.
Die Hauptleidtragenden dieser Entwicklung sind politische Dissidenten auf der ganzen Welt und unter allen Regimen. Es lässt sich ja nicht mehr ableugnen, daß die Internetzensur ein Grundbaustein der nationalen Souveränität geworden ist. Das Nationalinteresse fällt hier automatisch mit dem Regierungsinteresse in eins und der Repression wächst dadurch von selbst Legitimität zu.
Carl Schmitt entwickelte das Konzept der „überlegalen Prämie auf den legalen Machtbesitz“. Das bedeutet, daß der Besitz der legalen Macht im Rahmen einer Verfassung der Regierung automatisch Machtmittel verschafft, die in der Verfassung nicht vorgesehen sind. Deshalb „überlegal“ nicht „außerlegal“. Die Regierung tut nichts illegales, sie handelt im Rahmen ihrer Befugnisse, aber dies gibt ihr eine Macht gegenüber der Opposition, die von der Verfassung so nicht gewollt ist.
Durch die Internetzensur gegenüber weltpolitischen Rivalen, kommt die schlagkräftigste aller überlegalen Prämien zur Geltung: Die Bestimmung des äußeren Feindes. Diese schließt immer auch die Bestimmung des Tatbestandes des Landesverrats mit ein. Es lässt sich gar nicht vermeiden, daß nun einmal die Regierung bestimmt, welche außenpolitischen Affinitäten legal und welche Verrat sind.
Soll dem wenigstens etwas gegengesteuert werden, dann bedarf es dafür einer Nationalisierung der Meinungsfreiheit. Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz, krankt bekanntlich daran, daß es ein Radio Eriwan Absatz ist, dessen sämtliche Garantien durch Absatz 2: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“, wieder aufgehoben werden. Da in der Bundesrepublik jede staatliche Handlung einer Grundlage in einem allgemeinen Gesetz bedarf, könnte er ersatzlos gestrichen werden, ohne daß sich an der Rechtslage etwas ändern würde.
Doch selbst wenn die Einschränkungen der Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich präzisiert würden, wäre da immer noch das Problem, daß er diese Rechte „Jedem“ zugesteht, nicht jedem Deutschen. Da sich prinzipiell jeder Mensch auf dieser Welt auf die Meinungsfreiheit des deutschen Grundgesetzes berufen kann, bedeutet dies in der Praxis, daß diese Meinungsfreiheit denjenigen Einschränkungen unterliegt, die notwendig werden, wenn „Jeder“, einschließlich auswärtiger Feinde, sich darauf berufen kann.
Die große Firewall wird so oder so kommen weil sie notwendig ist. Es muß darum gehen, innerhalb dieser Mauer ein Maß an Freiheit zu bewahren. Freiheit und Nationalismus fallen hier in Eins.