Ted Kaczynski – Die Linke, die Gefahr und die Gewalt
Mit Theodore Kaczynski starb am 10. Juni 2023 eine Kultfigur der bleiernen Zeit.
(Theodore Kaczynski 1968. Quelle https://de.wikipedia.org/wiki/Theodore_Kaczynski#/media/Datei:Young_theodore_kaczynski.jpeg)
Die bleierne Zeit war jene Epoche, vom Ende der 70er bis zum Ende der 00er Jahre. Der Systemkampf zwischen Kommunismus und Kapitalismus war zugunsten des Kapitalismus entschieden. Die notarielle Beurkundung dauerte dieses Sieges dauerte zwar bis 1989, aber seit Ende der 70er war der Kommunismus keine ernstzunehmende Systemalternative mehr. Die 68er Revolte, die Kaczynski als junger Dozent an der Universität von Kalifornien, Berkeley, miterlebte, war in ihrem ursprünglichen, gesellschaftsumstürzlerischen Sinne gescheitert. Die Erben befanden sich auf ihrem Marsch durch die Institutionen, versuchten also herauszufinden, welche Teile ihrer Ideologie mit der Herrschaftslogik des bestehenden Systems kompatibel waren. Das gesellschaftliche System war stabil. Gleichzeitig waren nahezu alle Probleme, die heute zu systemischen Existenzkrisen angewachsen sind, bereits vollkommen absehbar. Nur verhinderte die damals noch vorherrschende Stabilität, daß irgendetwas dagegen unternommen werden konnte. Nicht nur einfache Menschen waren gegenüber der Systemlogik machtlos. Keiner verkörperte die Unmöglichkeit der Systemlogik in den Weg zu treten besser, als Bundeskanzler Helmut Kohl, dessen Regierungszeit immerhin die Hälfte dieser Epoche abdeckte. Mit dem Versprechen einer „geistig-moralischen Wende“ ins Amt gekommen, erklärte er 1982 Margaret Thatcher im vertrauten Gespräch, man müsse die Anzahl der Türken in Deutschland halbieren. Tatsächlich nahm der Ausländeranteil an der Bevölkerung unter seiner Regierung weiter zu, genauso wie unter anderen konservativen Regierungen der 1980er, Reagan oder Thatcher, die ebenso das Problem sahen und sich als ebenso machtlos erwiesen, der Masseneinwanderung entgegenzutreten.
In diese Epoche der abgesicherten Hilflosigkeit fällt die Aktivität des Unabombers, Theodore Kaczynski, dessen Anschlagsserie von 1978 bis 1995 dauerte und die längste und teuerste Fahndung nach einer Einzelperson in der Geschichte des FBI auslöste.
Als Kulturphänomen muß man den Unabomber neben Michael Jackson und Madonna stellen, als seinen hedonistischen Gegenstücken im Umgang mit der Unmöglichkeit aktiver gesellschaftlicher Veränderung. Darin unterschieden sie sich von den Spitzenmusikern der voraufgehenden Generation. Was immer man gegen John Lennon ins Feld führen mag. Die Aussage seiner Lieder beschränkt sich nicht auf: Party! Party!
Michael Jackson ist nun lange Tod. Was aus Madonna geworden ist, darüber schweigt der Ekel. Nun ist also Ted Kaczynski gestorben. Die Relikte einer Ära werden zu Grabe getragen, der wir keine Träne hinterher weinen, die aber weiterhin auf die Gegenwart ausstrahlt. Einmal weil unsere Krisen ihren Ursprung in jener Zeit haben. Zum anderen dadurch, daß diese Epoche von der Jugend bis zur mittleren Erwachsenenzeit der Babyboomer reichte, also der Generation, die heute nicht bloß an der Spitze institutioneller Macht steht, sondern in westlichen Ländern, mit ihrer urnenförmigen Demographie, die zahlenstärkste ist.
Dies zur Einordnung Theodore Kaczynskis, denn nicht solche melancholischen Gedanken sind der Grund für diesen Text. Der Ausgangspunkt war vielmehr eine kleine Geschichte, die Kaczynski 1999 im Gefängnis als Rechtfertigung seiner Taten schrieb.
Der Titel lautet „Ship of Fools“, zu Deutsch „Narrenschiff. Die Allegorie des Narrenschiffs, auf dem die Mannschaften den Befehl übernehmen, stammt von Platon und war ursprünglich entweder auf die attische Demokratie gemünzt. Seitdem ist diente es über Jahrtausende als Bild für kollektive Unfähigkeit und Irrsinn.
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