Tolkien der Unvollendete
Es ist bekannt, daß der Großteil des Mittelerdewerkes J. R. R. Tolkiens bei seinem Tode 1973 lediglich als Fragment vorlag.
(J.R.R. Tolkien, 1925: Unknown photo studio commissioned by Tolkien's students 1925/6 (private communication from Catherine McIlwaine, Tolkien Archivist, Bodleian Library), Public domain, via Wikimedia Commons)
Außer dem Hobbit und dem Herrn der Ringe wurden zu Lebzeiten nur einige Gedichte aus dem Mittelerdezyklus veröffentlicht. (Neben einer ganzen Reihe andere Schriften selbstverständlich. Tolkien war schließlich Professor für englische Literatur und hat eine Reihe wissenschaftlicher und auch einige prosaische Werke zu altanglistischen Themen verfasst.) Der Rest wurde erst von seinem Sohn Christopher ediert.
Der erste Grund dafür war das Betriebskalkül des Verlegers. Bei Tolkiens heutigen Ruhm verkauft sich noch eine Edition seiner Schmierzettel, doch der größere Teil seines Werkes wäre niemals abzusetzen, wenn der Autor nicht durch die vergleichsweise leichte Kost des Herrn der Ringe eine überragende Popularität gewonnen hätte. Die harte Rechnung des Betriebswirtes hätte sonst verhindert, daß auch nur der Silmarillion, geschweige denn die Abhandlungen zur elbischen Sprache und Berechnungen zum elbischen Kalender, je das Regal eines Buchhändlers gesehen hätten. Selbst der Herr der Ringe galt ursprünglich als verlegerisches Wagnis. Die übliche Dreiteilung in „Die Gefährten“, „Die Zwei Türme“ und „Die Rückkehr des Königs“ folgt nicht der Absicht des Autors. Die innere Gliederung des Werkes besteht aus sechs Büchern, wobei das Wort „Buch“ hier in seiner Bedeutung als Überkapitel verwendet wird. Tolkien selbst wollte das Werk im Ganzen veröffentlichen. Die Dreiteilung erfolgte deswegen, weil der Verleger Allen and Unwin erst einmal erproben wollte, ob sich so etwas überhaupt verkaufen würden.
Ich erwähne das, weil wir bei der Betrachtung von Tolkiens Werk immer im Hinterkopf behalten müssen, daß er erst in hohem Alter und zu einem guten Teil erst nach seinem Tod zu dem Ruhm gelangte, den wir heutzutage für selbstverständlich mit seinem Namen verbunden halten. Das bedeutet nämlich, daß er den größten Teil seines Mittelerdezyklus ohne die geringste Hoffnung schrieb, jemals etwas davon veröffentlichen zu können. Es war für Tolkien ein ganz persönliches Projekt, das bekanntlich aus seiner Schöpfung der Elbensprachen hervorging, einem Gebiet bei dem selbst die Leidensfähigkeit des größten Nerds an ihre Grenzen gerät.
Daß wir also für das, was wir eigentlich als das Hauptwerk Tolkiens ansehen müssen, die Geschichten von den ältesten Tagen, welche zuerst von Christopher Tolkien unter dem Titel „Das Slimarillion“ herausgegeben wurden und die inzwischen einen guten Regalmeter von Editionen aus Tolkiens Nachlasspapieren ausmachen, keine abschließende Fassung von des Autors eigener Hand haben, hat auch solch prosaisch wirtschaftliche Gründe.
Es gibt jedoch auch einen innerwerklichen Grund für die Unabgeschlossenheit des Silmarillion. In der Mitte dieses Werkes klafft eine ganz merkwürdige Lücke. Ab diesem Punkt die obligatorische Spoilerwarnung.
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