Vertrauen in die Führung
Auf die plötzliche Nichtexistenz der Epsteinliste reagierte Scott Adams mit der Feststellung: Wer seiner politischen Führung vertraut, der muß ihr auch darin vertrauen, daß sie weiß, wann es besser ist, uns zu belügen.
(Bildmontage: Fragen zur Zeit; Donald Trump: Daniel Torok, Public domain, via Wikimedia Commons Scott Adams: Art of Charm, CC BY 3.0, ; Jeffery Epstein: State of Florida, Public domain, via Wikimedia Commons)
Das klingt zunächst völlig absurd. Wer will schon von seiner politischen Führung belogen werden? Sind wir nicht alle der Ansicht, daß Politiker zu uns ehrlich sein sollen? Nun, Adams ist bekannt für zwei Dinge: Einmal ist er der Schöpfer der Comicfigur Dilbert. Zum anderen ist er einer derjenigen, die Wissen über psychologische Manipulationstechniken und Framing einem breiteren Publikum vermittelt haben. Vor allem aber ist er jemand, der immer wieder aufgezeigt hat, wie verschiedene Gruppen in verschiedenen Wahrnehmungsblasen leben. Auf eine Weise, die für niemanden wirklich angenehm ist, weil er nur selten jemandem zugesteht, daß seine Blase recht hat und niemals zugesteht, daß sie keine Blase ist, daß sie also nicht durch selektive Gruppenwahrnehmung funktioniert.
Adams hat nun einen Einwand in den Raum gestellt. Es gibt in den Vereinigten Staaten ja eine Institution, die nennt sich CIA. In Deutschland hätten wir äquivalent den Bundesnachrichtendienst. Jeder, der nicht die vollständige Auflösung dieser Geheimdienste verlangt, hat damit schon eines zugegeben: Die Regierung hat das Recht, ihre Bürger zu belügen. Das gehört nun einmal zum Job dieser Institutionen dazu.
Mit dieser Feststellung hat Adams recht. Das ist erst einmal festzuhalten. Auch wenn auf die Frage: „Dürfen Regierungen ihre Bürger belügen?“, wenn die Frage denn in diesem Framing gestellt wird, die meisten erst einmal negativ antworten würden. So ist doch eigentlich niemand, wenn er ehrlich darüber nachdenkt, der Meinung, unsere Regierungen müßten immer ehrlich zu uns sein. Natürlich wollen wir nicht ständig belogen werden, aber daß die Notwendigkeit eintreten kann, das Volk zu belügen, und daß das auch keine extreme Ausnahme ist, sondern zur Staatsführung dazugehört – das ist etwas, was niemand wirklich bestreiten kann. Nur: Wer trifft denn die Entscheidung darüber, ob das Volk getäuscht werden muß oder nicht? Das können ja nur die Geheimnisträger selbst sein, und es liegt in der Natur der Sache, daß das Volk diese Entscheidung nicht überprüfen kann. Natürlich habe man dennoch bestimmte Erwartungen an diese Institutionen. Adams sagt, er erwarte von der CIA zwar nicht, daß sie ihm die Wahrheit sage, aber doch, daß sie für seine Sicherheit sorge. Und soweit, daß sie dieser Aufgabe im großen und ganzen nachkämen, würde er, Adams, den Geheimdiensten seines Landes vertrauen.
Es ist also eine Frage des Vertrauens. Adams sagt nun seinen amerikanischen Landsleuten: Wenn ihr Trump vertraut, dann müßt ihr ihm auch in dieser Sache vertrauen – daß er die Entscheidung, den Fall Epstein zu begraben, nach bestem Wissen und Gewissen im höheren Interesse der Vereinigten Staaten getroffen hat. Zumal man nicht ernsthaft erwarten könne, diese Liste je zu Gesicht zu bekommen, wenn da tatsächlich draufstehen sollte, was alle vermuten. Zunächst also: Anders als fast alle Influencer, die Trump in dieser Sache verteidigen, sagt Adams nicht von einem Tag auf den anderen, daß der Fall Epstein bedeutungslos oder Ablenkung sei. Er sagt, daß ein Anhänger Trumps diesem auch glauben sollte, daß er zu Wohl des amerikanischen Staates und Volkes diese Informationen der Öffentlichkeit vorenthält.
Es ist schwer, dieser Logik zu widersprechen: Wenn man jemanden zum Regierungschef wählt, dann gibt man diesem Mann damit ja explizit die Letztentscheidung über Fragen der Staatsraison in die Hand. Man muß hinzufügen, daß Adams der Ansicht ist, daß Trump so ehrlich war, wie er sein konnte – gerade indem er den Fall Epstein auf diese absurd offensichtliche Weise unter den Teppich kehrte. Tatsächlich und ohne in einen 4D-Schach-Narrativ zu verfallen: Wenn man sich Mühe gegeben hätte, dann hätte die Affäre Epstein viel eleganter entsorgt werden können. Ein Untersuchungsausschuß, der nach drei Jahren einen sehr langen Bericht verfaßt, in dem er die Fehler früherer Ermittlungen rügt und ansonsten nichts veröffentlicht, was nicht schon bekannt ist.
Nun scheint es so, als ob niemand in MAGA, der nicht dafür bezahlt wird, bereit ist, Adams’ Rat zu folgen. Das hat einen einfachen Grund: Niemand vertraut Trump. Auch nicht die eigenen Anhänger und Wähler. Es ist nicht so, als ob die erwarten, nach Strich und Faden verarscht zu werden. Sie erwarten sich durchaus etwas von ihm: sei es ein Ende der Massenmigration, ein Ende von Woke, Reindustrialisierung. Aber niemand hat Trump gewählt, weil er ihm vertraut, weil er so seriös wirken würde. Trump wurde gewählt, weil man sich Veränderungen von ihm erhoffte. Er ist bis heute der menschliche Molotowcocktail, als den ihn Michael Moore schon 2016 beschrieben hat.
Was wir hier einmal sehen, ist, daß ein Politiker nicht unbedingt gewählt wird, weil man ihm vertraut. Das mag noch trivial sein. Interessanter ist, daß selbst jemand, der eine begeisterte Anhängerschaft um sich schart, nicht unbedingt das Vertrauen dieser begeisterten Anhänger genießen muß. Vertrauen ist nicht dasselbe wie Unterstützung oder Begeisterung. Jemand kann Unterstützung haben und sogar Begeisterung hervorrufen, ohne daß man ihm besonders vertraut.
Vertrauen ist eine eigene Kategorie im Verhältnis zwischen Führung und Gefolgschaft einer politischen Bewegung. Vertrauen sorgt nicht für Enthusiasmus. Aber es ist unverzichtbar, wenn die Führung Unbeliebtes verlangen will oder muß. Trump hat nun – aus welchen Gründen auch immer – beschlossen, die Unterlagen im Fall Epstein nicht zu veröffentlichen, und hier zeigt sich, wie dünn die Vertrauensbasis zwischen Trump und seinen Anhängern ist. Es stellte sich schnell heraus, daß MAGA, anders als oft behauptet, kein Kult ist, der seinem Guru überallhin folgt und am Ende auch das Cool Aid trinkt. Für seine Entscheidung, die Wahrheit in der Epsteinaffäre zu verschweigen, erntete Trump auf seiner eigenen Plattform Truth Social massiven Widerstand. Nicht nur Tucker Carlson. So ziemlich alles, was früher MAGA war und weder abhängig noch bezahlt ist, wendet sich derzeit ab. Die Republikaner als Partei im Kongreß werden erhalten bleiben, aber MAGA als Bewegung ist in sehr ernsthafter Gefahr zu zerbrechen. Wenn das passiert, wer weiß, wohin die freigesetzten politischen Kräfte dann strömen. Elon Musks belachter Plan einer „America Party“ könnte größere Erfolgsaussichten haben, als angenommen.
Wie Vertrauen politisch funktioniert, das haben wir in Deutschland gerade im Westentaschenformat erlebt. Mit Maximilian Krahs Versuch, die Neue Rechte dazu zu bewegen, seine binnenethnopluralistischen Ideen zu übernehmen. Das hätte bedeutet, das Ziel eines ethnisch wieder homogenisierten Staatsvolkes aufzugeben. Nun kann man inhaltlich zum „Krah-Sellner-Streit“ unterschiedlicher Meinung sein. Man tut aber keiner Partei unrecht, wenn man feststellt, daß diese Auseinandersetzung in allererster Linie durch das Vertrauenskapital entschieden wurde, das die Kontrahenten aufgebaut hatten. Die inhaltliche Debatte hat in ihren Feinheiten kaum einer verstanden, aber auf der einen Seite stand jemand, der anderthalb Jahrzehnte lang seine Reputation aufgebaut hatte und auch von seinen Gegnern zumindest als ehrlich angesehen wird, gegen jemanden, der auch auf dem Gipfel seines Höhenfluges ein bißchen als Hallodri galt und vor einem halben Jahr erklärt hatte, die europäische Kultur sei ohne Juden langweilig. Ich denke tatsächlich, daß Krah mit dieser Aussage die spätere Debatte verloren hat, ein halbes Jahr bevor sie begann.
Politiker, die in diesem System operieren wollen, werden von ihm zu Kompromissen und in manchen Dingen auch schlichtweg zum Verzicht auf bestimmte Punkte gezwungen. Normalerweise passiert das, nachdem sie ins Amt gewählt wurden. Bei Krah war es aufgrund seiner besonderen Lage nach der Europawahl davor. Der typische Populist ist aber gut darin, einen Hype zu erzeugen. Er ist schlecht darin, das Vertrauenskapital aufzubauen, so daß man ihm auch folgt, wenn er befiehlt, eine Kröte zu schlucken oder eine offenkundige Lüge zu akzeptieren. Dazu wird er irgendwann gezwungen, das gehört zum Job des Staatsmannes und das ist einer der Gründe, aus denen Populismus so instabil ist.