Es tobt der Philosophenstreit im rechten Lager (mal wieder). Die Philosophen tragen die Probleme, die sie selbst nicht lösen können, in die Politik. Silete Philosophi in munere alieno!
(Jean-Léon Gérôme (1860): Diogenes, Public domain, via Wikimedia Commons)
In dem badischen Dorf in dem ich aufgewachsen bin, errichten die Narren jeden Fastnachtsdienstag einen Strohmann. Dieser Strohmann wird dann in der Nacht auf Aschermittwoch verbrannt und die Hexen springen über das Feuer. Dies Schauspiel als Kind ein paar mal beobachtet zu haben, hat mich gut gerüstet für so manche Debatte, vor allem für philosophische Debatten, für Debatten über das rechte Lager und für philosophische Debatten über das rechte Lager.
Die Debatte zwischen Christian Illner auf der einen, Schattenmacher und Fusion auf der anderen Seite, die sich ursprünglich an Erik Ahrens entzündet hat, ist inzwischen bei den Reaktionen auf die Reaktionen von Reaktionen auf Reaktionen angelangt. Dabei hat das ganze kaum noch etwas mit unserer Situation zu tun, sondern mit der traurigen Lage der Philosophie. Diese wurde, nicht philosophisch, sondern praktisch durch ihren größten Triumph erledigt. Doch dazu weiter unten mehr.
Erst einmal zum Stand der Debatte, ich versuche mich kurz zu halten, allein um zu verhindern, daß dies eine weitere endlose Reaktion wird: Was Illner an seinen Gegnern kritisiert ist eine Metaphysik, welche den Willen zum Ursprung des Seins, oder zum Sein selbst, kurz gesagt zu einem Gottesersatz erklärt. Er behauptet weiterhin, daß diese Metaphysik die uneingestandene Grundlage einer schädlichen Geisteshaltung im rechten Lager sei, welche sich das Motto „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“, auf die Fahnen geschrieben habe und in Coaches, Größenwahnsinnigen und ganz allgemein im Typus des „Willensrechten“ zum Ausdruck käme.
Dessen auf Nietzsche zurückgehende Willensmetaphysik gehe, wenn man sie nur konsequent genug verfolge, darauf hinaus dem Willen Zauberkräfte zuzuschreiben woraufhin man konsequenterweise fragen müsse, weshalb der Willensrechte überhaupt noch an die Naturgesetze gebunden sei, weswegen er altere und nicht fliegen könne. Dies ist keine Überspitzung. Illner meint diese Fragen ernst und wirft seinen Gegnern eine Motte and Bailey Taktik vor. Sobald man versuche, sie auf ihre metaphysischen Grundlagen festzunageln, würden sie sich, um nicht die absurde Behauptung verteidigen zu müssen, daß der Wille wirklich alles vermöge, in den Burgfried des Willens im landläufigen Sinne des Wortes zurückziehen und diesen nicht gegen die philosophische Kritik der Willensmetaphysik, sondern gegen das Phänomen der überall zu beobachtende Erschlaffung verteidigen. „Haben wir denn zu viel oder zu wenig Willen in unserer Gesellschaft?”, hieße es dann von den Willensmetaphysikern, anstatt auf die philosophische Kritik einzugehen.
Schattenmacher hat das ziemlich genau so gesagt. Illners Kritik wäre auch schön und gut, nur findet man, wenn man sucht was Illner denn positiv gegen die Willensmetaphysik aufbringt, Behauptungen, die keinen Deut weniger abenteuerlich sind. Da macht er aus dem hermeneutischen Zirkel, einer Lernmethode, einen Weg auf dem Neues ins Sein tritt und das sogar rückwirkend, so daß demjenigen, dem beim Wiederbedenken des bereits Durchdachten und beim Wiedererleben des bereits Erlebten etwas Neues ein- oder auffällt, dieses immer schon ein- oder aufgefallen war, auch bevor es ihm ein- oder aufgefallen ist.
Ab diesem Punkt wird der Leser geneigt sein, dies alles einfach als Affenzirkus abzutun. Mit der Einschätzung hätte er nicht unrecht, nur gibt es für diesen Zirkus einen Grund. Die Philosophie leidet unter einem Problem, daß sie nicht aus ihren eigenen Kräften beheben kann, weil es kein philosophisches Problem ist, sondern ein praktisches: Das notwendige Wissen und die rohe Intelligenz die notwendig sind um auf dem heutigen Wissensstand sinnvolle Aussagen über die Frage was denn die Welt im Innersten zusammenhält zu treffen, hat das menschliche Maß gesprengt.
Ich sage das ungern und hier weniger aus allgemeinen Gründen, als deswegen weil es schmerzt, einem Freund sagen zu müssen, daß er auf dem Weg, den er gewählt hat und an dem sein Herz hängt, nur Asche und Seifenblasen finden wird. Das wird Christian aber erwarten.
Der offene Hass der den Naturwissenschaften aus den Reihen der Philosophen entgegenschlägt, ist ein recht junges Phänomen. Über gut zwei Jahrtausende der Philosophiegeschichte galt die Verwandtschaft von Mathematik und Philosophie fast schon als Banalität. Wer sich mit Philosophie befassen wollte, der sollte erst einmal Mathematik lernen. Denn wessen Fähigkeit zur Schau der Ideen schon mit einem Dreieck überfordert ist, der lässt besser die Finger von den Ideen des Wahren, Schönen und Guten.
In der klassischen Bildung war dies in den sieben freien Künsten als Schulungsweg formalisiert. Die freien Künste unterteilten sich in das Trivium, welche aus den sprachlichen Fächern der Grammatik, Dialektik und Rhetorik bestand, sowie aus dem Quadrivium, welches die mathematischen Fächer Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie zusammenfasste. Bezeichnenderweise war die Musik die einzige Kunst im heutigen Wortsinne unter den sieben freien Künsten und zwar deswegen, weil sie die am einfachsten mathematisierbare unter den Künsten ist, vielleicht abgesehen von der Architektur, die aber zu ihrer Ausführung tiefe Taschen erfordert. Sprache und Mathematik als Grundlagen jeder weiteren Bildung hat sich bis in die heutigen Schulpläne erhalten, wo Deutsch und Mathematik die beiden Fächer sind, die man von der ersten bis zur letzten Klasse belegen muß.
Dann kam der größte Triumph der Philosophiegeschichte, als Galilei und nach ihm Newton feststellten, daß wie Galilei sagte, die Natur in der Sprach der Mathematik geschrieben ist. Daß die Natur den Strukturen der Mathematik folgt, welche selbst nicht durch Empirie oder Sinneseindrücke erkannt werden, sondern nur einer rein intelligiblen Erkenntnisform zugänglich sind.
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