Worüber man reden soll – Sinn und Unsinn politischen Denkens
Oswald Spengler, Urheber einer Vielzahl politischer Einsichten und keiner politischen Philosophie, schrieb, daß es der Grundirrtum der Journalisten sei, zu glauben, man fördere eine Sache, indem man sie bequatscht.
(https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Der-Denkerclub_1819.jpg)
Dasselbe gilt für den Berufsstand, den man zu Spenglers Zeiten die „Literaten“ und heute die öffentlichen Intellektuellen nennt. Der Irrtum folgt der Logik des Broterwerbs. Wer sein Geld mit politischer Literatur verdient, wird allein deswegen davon überzeugt sein, daß seine Publikationen der Sache, welcher er sich verschrieben hat, nützen. Ein Jurist ist schließlich auch davon überzeugt, daß die Juristerei der Gerechtigkeit dient. Man versuche einen davon zu überzeugen, daß es besser sei, einige zwischenmenschliche Konflikte nicht gesetzlich zu regulieren, sondern einfach den Beteiligten zu überlassen.
Bevor ein solcher Literat, in diesem Falle Ich, über die Fragen zur Zeit schwadroniert und die Leute dazu auffordert, seinen Substack zu abonnieren, sollte er also Rechenschaft darüber ablegen, ob er überhaupt versuchen sollte, dies Fragen zu beantworten. Ich erlaube mir den Hinweis auf eine Ironie. Es gibt eine Anstrengung, die kann ich Ihnen, geschätzter Leser, aus der Natur der Sache heraus nicht abnehmen: Sie müssen selbst darüber nachdenken, ob, und falls ja, wo ich Sie belüge. Denn um die Frage nach dem Sinn der Ehrlichkeit in der politischen Publizistik kommen wir nicht herum.
Welche Wirkung hat die politische Publizistik? Das ist eine andere Frage, als die nach ihrem wissenschaftlichen Wert. Aber doch die wesentliche, sofern der Publizist ein politisch handelnder Mensch ist. Es gibt zwei Wirkungen, welche der Publizist beabsichtigen kann: Erstens die propagandistische Wirkung, entweder die an Außenstehende gerichtete Werbung für die eigene Sache, oder die Hebung der Moral der eigenen Leute. Daß hierbei die Wahrheit nie der erste Maßstab ist, ergibt sich aus der Natur dieser Sache selbst. In der Werbebranche gibt es nur Graduierungen der Unehrlichkeit. Diese Graduierungen sind übrigens sehr wichtig. Ich erinnere an die ersten Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen. Es war eine Sache, die Demos zu feiern, obwohl sie von der Zusammensetzung her nicht die Basis für einen erfolgreichen Widerstand boten. Daraus konnte sich dennoch etwas entwickeln und das ist schließlich ja auch geschehen. Es war eine ganz andere Sache, zu behaupten, man hätte 200.000, 500.000 ja eine Million Teilnehmer gehabt. Das war nicht nur glatt gelogen, es hat auch massiv geschadet.
Doch Propaganda ist Propaganda. Darum soll es hier nicht gehen.
Die zweite Wirkung, welche der Publizist beabsichtigt, ist die inhaltliche und strategische Beeinflussung des eigenen Lagers. Es gehört zum Anspruch des Intellektuellen, daß er zwar nicht im Tagesgeschäft, wohl aber in den großen Fragen die Richtung einer politischen Bewegung vorgibt. Der ganze Bereich sogenannter „Theoriebildung“, als organischer Teil eines politischen Lagers verstanden, zieht seine Existenzberechtigung daraus.
Dieser Führungsanspruch ist es, durch welchen die politische Theoriearbeit mit dem akademischen Gebot wissenschaftlicher Wahrheitsfindung in Konflikt gerät. Neben der Forderung der Wahrheit, steht nun die Rücksichtnahme auf die Wirkung der eigenen Worte. Man könnte sich vorstellen, daß auf jeden Fall mit der Wahrheit am besten gedient ist, solange eine politische Richtung nicht prinzipiell auf Täuschung beruht. Wenn es die Aufgabe des Publizisten ist, das Weltbild seines Publikums zu formen, aufgrund dessen es politisch handelt, dann sollte doch die Wahrheit diesem Publikum die beste Grundlage führ ihre Entscheidungen geben?
In meiner Erfahrung und ich werde im Juli diesen Jahres seit 10 Jahren publizistisch unter Klarnamen aktiv sein, steht dem Ideal einer ehrlichen politischen Theorie vor allem eines entgegen:
Politisches Denken an sich und die Anleitung eines politischen Lagers durch politisches Denken haben unterschiedliche Zeithorizonte. Wer politisches Denken um seiner selbst willen betreibt (und jeder politische Mensch tut das in irgendeiner Weise, ohne diese Leidenschaft hält er nicht durch), der befasst sich mit der Zukunft, mit größeren Verschiebungen und Trends. Unter einem solchen Zeithorizont ist der gegenwärtige Status Quo vor allem eines: kontingent. Es könnte nicht nur anders sein, es wird einmal anders sein! Es ist nur eine Frage der Zeit. Wenn einer nur den Ehrgeiz hat, später als weitsichtiger Solitär zu gelten, dann kann er ganz in der Rolle des Propheten aufgehen, ist aber damit kein politischer Mensch mehr, sondern ein Politiknerd, der genauso gut über Star Trek fachsimpeln könnte.
Ein politisches Lager hingegen, welches mit der Gegenwart umzugehen hat, muß mit diesem Status Quo arbeiten, ist viel schärfer an ihn gebunden, als der bloße Prognostiker. Wenn zu laut über das Morgen nachgedacht wird, dann verliert der innere Diskurs des Milieus die Bindung an die heutigen Realitäten. Und ein politisches Milieu, eine Lager, ist dezentral organisiert. Der innere Diskurs ist die Steuerung, es gibt keine zentrale Autorität, die unabhängig von der Öffentlichkeit alles in die richtigen Bahnen lenkt. Wenn dieser innere Diskurs, also die Öffentlichkeit, welche sich an die eigenen Kreise richtet, sich in politischer Analyse verliert, ohne zu bedenken, welche Folgen dies für das Handeln hat, dann driftet das politische Lager ab. Das muß nicht dazu führen, daß jemand den Reichstag stürmt, weil er gehört hat, daß die BRD nicht durch Beschluß des Allmächtigen entstanden ist. Es gibt hier viel subtilere Fälle, die nicht so offen zutage liegen. Es ist jedenfalls nicht immer besser, heute schon an morgen zu denken, auch dann nicht, wenn man dann auf das morgen schlecht vorbereitet ist. Auch hier gibt es Opportunitätskosten. Es soll nicht alles bequatscht werden, aber man muß auch wissen, daß das Verschweigen heute, ein Kredit ist, der morgen mit Zinsen abzuzahlen ist. Politische Theorie, die einen Zweck erfüllen soll, muß diesen Spagat bewältigen.
Über die Fragen der Zeit zu schreiben, über welche zu schreiben sinnvoll ist und die Zinsen der Schweigsamkeit niedrig zu halten ist der Sinn dieses Substack.
PS: Wer diesen Substack abonniert wird feststellen, daß ich wie fast alle andern Nutzer von Substack unter „subscription benefits“ den Standardtext beibehalten habe. Nur das Archiv habe ich freigestellt. Einen einmal frei verfügbar gestellten Text nach einigen Wochen hinter die Bezahlschranke zu stellen ist bescheuert. Das hat einen Grund. Geplant ist hier viermal im Monat zu veröffentlichen, einmal frei verfügbar und dreimal für Abonnenten. Daran werde ich mich auch halten, großes Indianerehrenwort! Nur leider erlaubt Substack nicht, die Option eines Jahresabonnements auszuschalten (Würde ich ehrlich gesagt schon wegen des Inflationsrisikos gerne machen.) Das heißt, jede juristische Verpflichtung meinerseits würde dann auch immer auf ein Jahr gelten. Damit würde das hier zu einem nicht mehr tragbaren Risiko. In dieser Hinsicht ist Substack leider nicht besonders gut durchdacht. (In den Nutzungsbedingungen steht wenigstens sehr ehrlich, daß das allein mein Problem wäre.)