Der Fluch von Nürnberg
In Nürnberg beendete 1946 der Henker das abendländische Völkerrecht. Der Geist des totalen Krieges ist seitdem der Nomos der Erde. Kriege auf Augenhöhe zu beenden ist sehr schwierig geworden.
( Bildmontage, Quellen: Defendants in the dock at nuremberg trials: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Defendants_in_the_dock_at_nuremberg_trials.jpg,
Benjamin Netanjahu (2023): https://de.wikipedia.org/wiki/Benjamin_Netanjahu#/media/Datei:Benjamin_Netanyahu,_February_2023.jpg
Wladimir Putin (2023): https://de.wikipedia.org/wiki/Wladimir_Wladimirowitsch_Putin#/media/Datei:%D0%92%D0%BB%D0%B0%D0%B4%D0%B8%D0%BC%D0%B8%D1%80_%D0%9F%D1%83%D1%82%D0%B8%D0%BD_(18-06-2023)_(cropped).jpg)
Der Justizmord ist die schärfste und entsetzlichste Waffe des Revolutionärs. Nicht weil er den Gegner beseitigt, sondern weil der Tabubruch die Ordnung auf eine Weise zerbricht, die kaum leichter zu restaurieren ist, als die Toten wiederzuerwecken. Der revolutionären Justizmord ist ein invertiertes Menschenopfer. So grausig sie waren, die Menschenopfer primitiver Kulturen dienten ihrem Sinn nach dem Erhalt der kosmischen Ordnung auf der metaphysischen Ebene. Der revolutionäre Justizmord dient der Zerschlagung der menschlichen Ordnung auf der normativen Ebene.
In Carl Schmitts Aufzeichnungen findet sich am 18. 03. 1949 der Eintrag:
„Genial die Bemerkung von Danzenbrinck (!)1: Alle drei Völker, die Griechen, die Römer und die Juden, haben ihren größten Mann getötet: Sokrates, Julius Cäsar und Jesus Christus. Aber die Größe und die moralische Überlegenheit der Römer zeigt sich darin, daß sie ihren Mann nicht justizförmig getötet haben.“2
Der Althistoriker mag dieses Lob des römischen Rechtsbewusstseins übertrieben finden, war es doch der Versuch der Optimaten sich Caesars über den Weg eines politischen Strafverfahrens zu entledigen, der den Bürgerkrieg überhaupt erst heraufbeschworen hatte. Doch der Grundgedanke stimmt. Der revolutionäre Justizmord ist eine Waffe zur Zerschlagung eines Rechtes, welches der Revolutionär als Fessel betrachtet. Gleichzeitig bindet der Justizmord in seinem rituellen Akt die Verantwortlichen und zwar auf eine Weise, wie es ein außergerichtliches Attentat oder eine bloße Liquidation nicht vermögen. Wer sich ein bisschen mit der französischen Revolution befasst hat weiß, daß es die Hinrichtung des Königs war, welche die überlebenden Revolutionäre auch nach dem Sturz Robespierres zusammenschweißte. Zu viele hatten im zum Tribunal umfunktionierten Nationalkonvent mit „la mort“ abgestimmt. Viele nur aus Angst vor dem von den Jakobinern aufgestachelten Mob von Paris, doch das spielte keine Rolle mehr. Es war diese Komplizenschaft viel zu vieler an der rituellen Tötung eines Königs, die zwischen Robespierres Hinrichtung und der Machtergreifung Napoleons mehrmals die Restauration der Monarchie verhinderte.
Das Fallbeil aber, machte diese Restauration aber selbst nach dem Sturz Napoleons zu einer Fata Morgana. Nachdem ein König als Verräter und Verbrecher verurteilt und hingerichtet worden war, konnten die drei letzten Könige bis zur Revolution von 1848 keine geweihten Herrscher mehr sein, sondern nur noch die gerade opportunen Machthaber, deren man sich bei veränderter Sachlage auch wieder entledigte.
Welche Folgen die justizförmige Tötung eins Monarchen haben würde, hatte zweihundert Jahre zuvor Elisabeth I. von England gut geahnt. Diese stand im Jahr 1587 vor einem ähnlichen Problem, wie es die französischen Revolutionäre mit Ludwig XVI. haben würden. Ihre Nichte 2. Grades, Maria Stuart von Schottland, befand sich seit ihrem Sturz als schottische Königin in englischer Gefangenschaft. Abgefangene Briefe belegten ihre Verwicklungen in ein Komplott zur Ermordung Elisabeths, nicht die erste Verschwörung, an der sich die gestürzte Königin beteiligt hatte. Dazu weigerte sich Maria, ihrem Anspruch auf den englischen Thron zu entsagen. Zu allem Überfluss war sie auch noch katholisch und der Papst hatte Elisabeth exkommuniziert und alle Katholiken zu ihrem Sturz und zur Einsetzung Marias als Königin von England aufgerufen. Die Staatsraison forderte ihre Beseitigung. Das englische Parlament forderte ihre Verurteilung und Hinrichtung. Elisabeth sah, daß sie Maria nicht am Leben lassen konnte, doch sie zögerte das Todesurteil zu unterschreiben. Stattdessen versuchte, sie Marias Gefängniswärter Sir Amias Paulet dazu zu überreden, die Königin einfach zu ermorden. Ein politischer Mord, das wusste Elisabeth, wäre eben nur ein Mord, ein unschöner Tribut an die Notwendigkeit. Eine justizförmige Verurteilung und Hinrichtung einer Königin aber, würde die geheiligte Rechtsordnung fundamental in Frage stellen. Ironischerweise war es kein Nachkomme der kinderlosen Elisabeth, sondern der Enkel Maria Stuarts, Karl I., der nach seiner Niederlage im Bürgerkrieg gegen Cromwell, als erster und bisher einziger König von England durch den Henker starb. Nebenbei ist es einer der interessantesten Fälle der Grenzen politischer Macht, daß Elisabeth ihre Rivalin zwar hinrichten lassen konnte, sie aber nicht in der Lage war, sie einfach ermorden zu lassen, weil der Wärter, freilich kein Polizeibüttel sondern selbst ein Adeliger, sich weigerte.
Im Falle der justizförmigen Tötung Ludwigs XVI. ist aber die aufschlussreichste Facette, die Tatsache, daß die radikalsten Vertreter der Revolution, Robespierre und Saint-Just, dagegen gewesen waren, Ludwig überhaupt den Prozess zu machen. Aus ihrer Sicht musste der König freilich sterben: „Louis doit mourir, parce qu’il faut que la patrie vive“3, wie Robespierre sagte, denn solange er am Leben blieb und sei es in Gefangenschaft oder im Exil, blieb er die Galionsfigur aller monarchistischen Kräfte Frankreichs, mit denen die Revolutionäre sich zu diesem Zeitpunkt im Bürgerkrieg befanden. Aber sie wollten den justizförmigen Charakter vermeiden. Die Tötung sollte als bloße Maßnahme gegen einen Staatsfeind durchgeführt werden. Das hätte sie im Rahmen einer bloß politischen Handlung belassen. Indem man Ludwig aber den Prozess machte, warf man die Frage von Schuld und Unschuld im juristischen Sinne auf. Bei so einem Prozess aber, sitzt der Ankläger selbst auf der Anklagebank. Wenn die Revolution selbst der Ankläger ist, dann ist die Revolution im Prozess gegen den gestürzten König ebenfalls angeklagt. Robespierres Rede vor dem Nationalkonvent vom 3. Dezember 1792 verdient eine genauere Betrachtung.
„L’Assemblée a été entraînée, à son insu, loin de la véritable question. Il n’y a point ici de procès à faire. Louis n’est point un accusé; vous n’êtes point des juges; vous n’êtes, vous ne pouvez être que des hommes d’État et les représentants de la nation. Vous n’avez point une sentence à rendre pour ou contre un homme: mais une mesure de salut public à prendre, un acte de providence nationale à exercer. Un roi détrôné, dans la république, n’est bon qu’à deux usages, ou à troubler la tranquillité de l’État, et à ébranler la liberté; ou à affermir l’une et l’autre. Or, je soutiens que le caractère qu’a pris jusqu’ici votre délibération va directement contre ce but.
[...]
Louis fut roi, et la république est fondée; la question fameuse qui vous occupe est décidée par ces seuls mots. Louis a été détrôné par ses crimes; Louis dénonçait le peuple français comme rebelle; il a appelé, pour le châtier, les armes des tyrans, ses confrères; la victoire et le peuple ont décidé que lui seul était rebelle: Louis ne peut donc être jugé; il est déjà jugé. Il est condamné, ou la république n’est point absoute. Proposer de faire le procès à Louis XVI, de quelque manière que ce puisse être, c’est rétrograder vers le despotisme royal et constitutionnel; c’est une idée contre-révolutionnaire; car c’est mettre la révolution elle-même en litige. En effet, si Louis peut être encore l’objet d’un procès, Louis peut être absous; il peut être innocent. Que dis-je? Il est présumé l’être jusqu’à ce qu’il soit jugé. Mais si Louis est absous, si Louis peut être présumé innocent, que devient la révolution? Si Louis est innocent, tous les défenseurs de la liberté deviennent des calomniateurs. Tous les rebelles étaient les amis de la vérité et les défenseurs de l’innocence opprimée; tous les manifestes des cours étrangères ne sont que des réclamations légitimes contre une faction dominatrice.
Die Versammlung ist unwissentlich von der eigentlichen Frage abgelenkt worden. Es gibt hier keinen Prozess zu führen. Ludwig ist kein Angeklagter; ihr seid keine Richter; ihr seid und könnt nur Staatsmänner und Vertreter der Nation sein. Ihr habt kein Urteil für oder gegen einen Menschen zu fällen, sondern eine Maßnahme des öffentlichen Wohls zu ergreifen, einen Akt der nationalen Voraussicht auszuführen. Ein gestürzter König ist in der Republik nur zu zwei Dingen nütze: entweder die Ruhe des Staates zu stören und die Freiheit zu gefährden oder beides zu festigen. Ich behaupte, dass der Charakter, den eure Beratung bisher angenommen hat, diesem Ziel direkt entgegensteht.
[...]
Ludwig war König, und die Republik ist gegründet; die berühmte Frage, die euch beschäftigt, ist durch diese Worte allein entschieden. Ludwig wurde wegen seiner Verbrechen gestürzt; Ludwig hat das französische Volk als rebellisch bezeichnet; er hat die Waffen der Tyrannen, seiner Mitstreiter, gerufen, um es zu bestrafen; der Sieg und das Volk haben entschieden, dass nur er der Rebell ist: Ludwig kann daher nicht gerichtet werden; er ist bereits gerichtet. Er ist verurteilt, oder die Republik ist nicht freigesprochen. Den Prozess gegen Ludwig XVI. vorzuschlagen, auf welche Weise auch immer, bedeutet, zum königlichen und konstitutionellen Despotismus zurückzukehren; es ist eine konterrevolutionäre Idee, denn es bedeutet, der Revolution selbst den Prozess zu machen. In der Tat, wenn Ludwig noch das Objekt eines Prozesses sein kann, kann Ludwig freigesprochen werden; er kann unschuldig sein. Was sage ich? Er wird als unschuldig angesehen, bis er gerichtet ist. Aber wenn Ludwig freigesprochen wird, wenn Ludwig als unschuldig gelten kann, was wird aus der Revolution? Wenn Ludwig unschuldig ist, werden alle Verteidiger der Freiheit zu Verleumdern. Alle Rebellen4 waren die Freunde der Wahrheit und die Verteidiger der unterdrückten Unschuld; alle Manifeste der ausländischen Höfe sind nur legitime Forderungen gegen eine vorherrschende Fraktion.“5
Robespierre begriff, daß der revolutionäre Konvent zu dem gestürzten König gar nicht im Verhältnis eines Richters zu einem Angeklagten stehen konnte. Die einzige Position, aus der die Beseitigung Ludwigs sinnvollerweise erfolgen konnte, war die eines Staatsmannes, der eine Tötung aus politischer Notwendigkeit heraus anordnet. Gab man dem Ganzen den Anschein eines Verfahrens, dann warf man anstelle der Staatraison die Frage von juristischer Schuld und Unschuld auf. Damit gab man automatisch die Möglichkeit zu, daß Ludwig unschuldig seien könnte, womit die Revolutionäre und die Revolution selbst schuldig wären. Der Prozess machte aus einer politischen Frage, Monarchie oder Republik, die durch den Sieg der Republikaner entschieden worden war, eine Rechtsfrage, die nur mit der Verurteilung einer der beiden Seiten als verbrecherisch entschieden werden konnte. Auf den zeremoniellen Charakter der Hinrichtung wollte Robespierre aber auch nicht verzichten.
„Quoi qu’il arrive, la punition de Louis n’est bonne désormais qu’autant qu’elle portera le caractère solennel d’une vengeance publique.
Was auch immer geschieht, die Bestrafung Ludwigs ist nur dann gut, wenn sie den feierlichen Charakter einer öffentlichen Rache trägt.“6
Robespierre wollte keine juristische Verantwortung, aber er wollte die Republik mit der Hinrichtung eines Königs ins Mark der französischen Nation brennen. Das ist freilich ist das Prinzip: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht Nass. Am Ende konnte Robespierre sich damit auch nicht durchsetzen, die juristischen Bedenkenträger verlangten den Prozess, um einer Legalität willen, die alles Unrecht nur verschlimmerte. Das Urteil musste auf Tod lauten. Die Staatsraison der Republik forderte es. Doch damit band die Republik ihr eigenes Existenzrecht, an den Schuldspruch gegen Ludwig. Es ist schwierig, den großen Symbolen der Geschichte irgendeine Wirkung eindeutig zuzuordnen. Doch Folgendes ist doch Bemerkenswert:
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