Fragen zur Zeit

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Generation Turchin: Amerikas Weg in den 2. Bürgerkrieg?

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Johannes Konstantin Poensgen
Dez. 25, 2025
∙ Bezahlt

Eine Aufrechnung erschüttert Amerika. Weiße Millenials wissen nun, wie radikal sie von Karrieremöglichkeiten ausgeschlossen wurden. Doch für friedliche Reformen ist es für sie zu spät.

(Bildmontage: Fragen zur Zeit; Tote auf dem Schlachtfeld von Gettysburg: Timothy H. O’Sullivan, Public domain, via Wikimedia Commons; Peter Turchin: Peter Turchin, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)



Manchmal braucht es den einen Wurf, damit etwas an die Öffentlichkeit gelangt, das alle bereits wußten. Dieser Wurf ist am 15. Dezember 2025 Jacob Savage gelungen. Savage war Scriptwriter in Hollywood, ist heute Anfang 40. In einem langen Leitartikel „The Lost Generation“1 beschreibt er den Werdegang so vieler weißer Männer seiner Generation, der amerikanischen Millenials. Oder besser: das Nichtvorhandensein eines Werdeganges. Denn diese Generation war es, denen von den Quotenregelungen der DIE, Diversity, Equity and Inclusion, die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde. Und zwar vor allem in prestigeträchtigen oder lukrativen Branchen. Bei der Müllabfuhr gibt es keine Quoten, dafür aber um so mehr in Universitäten, in Redaktionen oder eben in Film und Fernsehen.

Zwischen 2011 und 2024 sank der Anteil weißer Männer unter den niederrangigen Scriptwritern des Fernsehens von 48 auf 11,9 Prozent. 2013 war die Redaktion des Atlantic, einer Zeitschrift, die in Amerika etwa die Bedeutung des Spiegels in Deutschland hat, zu 53 Prozent männlich und zu 89 Prozent weiß. 2024 waren es 36 Prozent männlich und 66 Prozent weiß. Ähnlich bei der New York Times: 2015 war der Newsroom zu 57 Prozent männlich und zu 78 Prozent weiß, 2024 waren es 46 Prozent männlich und 66 Prozent weiß. Weiße Männer besetzten 2014 noch 39 Prozent aller Nachwuchspositionen mit Aussicht auf eine Ordinariatsprofessur in Harvard. 2023 war ihr Anteil auf 18 Prozent geschrumpft.

Natürlich mußten auch in Großkanzleien, Managementetagen und selbst im Techsektor des Silicon Valley junge weiße Männer draußen bleiben. Aber es lohnt sich, einmal aus der Perspektive von Jacob Savage auf dieses Phänomen zu blicken, aus der Perspektive eines linksliberalen weißen Mannes, der 2011 nach Los Angeles zog, um als Schreiber für Film und Fernsehen Karriere zu machen. Denn es ist nicht so, als hätte die politische Linke die erbeuteten Institutionen gleichmäßig an ihre Unterstützer verteilt. Tatsächlich traf DEI junge linke weiße Männer besonders hart. Genauer: junge linke weiße Männer, die prinzipiell eine gute Chance hatten, zur Elite dazuzugehören.

Ich sage junge weiße Männer. Denn es waren weiße Amerikaner der Millenialgeneration, deren Karrieren und Lebensplanungen von Diversity, Equity and Inclusion vollkommen zerstört wurden. Denn wie lief eine solche Diversifizierung einer Redaktion, einer Fakultät, eines Unternehmens oder eines Filmstudios ab? Nun, zunächst stellten Diversityaktivisten fest, daß hier ein Mangel an Diversität vorliege. Oder BlackRock forderte mehr Diversity als Teil der ESG-Regeln (environmental, social and governance). Die Organisation ist zu weiß und zu männlich. Nun, wie ändert man das? Die alten weißen Männer kann man in den meisten Fällen nicht rausschmeißen. Viele haben Kündigungsschutz, vor allen Dingen Professoren. Andere haben Fähigkeiten, die einfach nicht ersetzbar sind. 2019, auf dem Höhepunkt der woken Diversitywelle, mußte der Chefredakteur des Atlantic, Jeffrey Goldberg, zugeben:

„Wir haben immer noch ein Problem mit den Leitartikeln des Printmagazins – mit Gender- und Rassenfragen, wenn es um das Schreiben von Leitberichten geht. Es ist wirklich, wirklich schwer, einen 10.000-Wörter-Leitberichtartikel zu schreiben. Es gibt nicht viele Journalisten in Amerika, die das können. Die Journalisten in Amerika, die es können, sind fast ausschließlich weiße Männer.“2


Alte weiße Männer, möchte man hinzufügen, und bei Neueinstellungen, neuen Projekten und Firmen, Serien und Forschungsprojekten haben diese alten weißen Männer auch die Beziehungen innerhalb der Branche, um sich einen der wenigen Plätze zu sichern, die für weiße Männer übrig bleiben. Die Lösung liegt für jede Personalabteilung auf der Hand: Wir stellen einfach keine jungen weißen Männer mehr ein.

Eine ganze Generation hat dadurch den Beginn ihrer Karriere verpaßt, sich von Gig zu Gig durchgeschlagen und oft genug das 40. Lebensjahr erreicht, ohne eine Familie gründen zu können. Eine ganze Generation von weißen Männern, die andernfalls einen Platz in der Elite der Vereinigten Staaten von Amerika gefunden hätten: als Professoren, Journalisten, Schriftsteller, Anwälte oder Manager. Ich nehme an, die meisten meiner Leser werden den Titel dieses Textes für reißerisch halten. Aber diese verlorene Generation ist ein sehr gewichtiger Grund anzunehmen, daß es in den Vereinigten Staaten in absehbarer Zeit zu einer Revolution oder einem Bürgerkrieg kommen wird. Nicht metaphorisch, nicht „politische Polarisierung“, nicht der ein oder andere Terroranschlag, sondern politische Gewalt im großen Stil.

Warum? Für diese Generation ist es zu spät. Die Idee, daß man DIE jetzt einfach zurückdrehen könne, krankt in der Praxis an einer ganzen Reihe eigener Probleme. Aber nehmen wir einmal an, es ginge. Was sollte das für weiße amerikanische Millenials bedeuten? Du kannst jetzt mit Ende 30 den Einstiegsjob bekommen, den du mit Mitte 20 hättest haben müssen, um deine Karriere zu starten? Ach ja, und das ist Shaniqua, deine Vorgesetzte, die damals den Job statt dir bekommen hat? Sicher, es wird viele geben, die sich darauf einlassen würden. Savage selbst, dessen Name wirklich nicht zu ihm paßt, ist einer von ihnen. Er will keine große Rache, noch nicht einmal eine Entschädigung. Am Ende entschuldigt er sich sogar noch dafür, daß er nicht rechtzeitig seine Erwartungen heruntergeschraubt hat.

Dafür wurde ihm Feigheit vorgeworfen. Unterwerfung im letzten Absatz. Die übliche Sünde eines frischgebackenen Dissidenten. Das mag alles zutreffen, aber es trifft doch nicht den Kern. Denn was soll diese verlorene Generation jetzt tun? Wie so oft mußte ich wieder einmal an eine Debatte denken, die ich vor Jahren einmal mit Felix Menzel hatte. 2017 veröffentlichten Felix, ich und einige andere ein kleines Büchlein, für dessen Thema wir uns in jugendlichem Größenwahn einfach einmal die strategische Lage der ganzen Rechten ausgesucht hatten. Ich schrieb damals:

„Die gute Nachricht lautet: Spätestens seit dem Asylansturm 2015 können wir den zunehmenden Kontrollverlust der derzeitigen Eliten live, wenn auch in Zeitlupe, beobachten.“3

Auch Jahre später kann ich mir auf die Schulter klopfen und sagen: Recht behalten! Aber ich denke immer wieder an Felix Antwort darauf:

„So argumentieren kann nur, wer keine Kinder hat und glaubt, die Zukunft nach dem Zusammenbruch vorausberechnen zu können.“4

Felix war damals schon zweifacher Familienvater, und Savage ist das auch. Sehr viele der nun nicht mehr so jungen weißen Männer, denen Diversity Equity and Inclusion die Karrieretür vor der Nase zugeschlagen hat, sind das nicht. Ihnen läuft die Zeit davon. Um eine Familie zu gründen, muß ein Mann beruflichen Erfolg vorweisen können. Daran hat alle Gendertheorie nichts geändert. Zumindest die älteren Millenials müßten, um noch eine Familie zu gründen, eine Frau bekommen, die signifikant jünger ist als sie selbst. Aus einer Zoomer-Generation, die selbst wiederum kleiner ist als die der Millenials. Für die Mehrheit von ihnen bedeutet DEI, tatsächlich DIE: stirb; wenn nicht sofort, dann stirb eben aus. Diejenigen, die sich darin nicht fügen wollen, stehen in einem Kampf, der mit jedem Jahr verzweifelter wird. Die meisten werden dabei auf der Strecke bleiben. Aber für den Einzelnen ist es ein Kampf, den er immer noch gewinnen kann. Männer kommen nicht in die Menopause. Daher rührt die unglaubliche Sprengkraft des DIE-Kahlschlages in den Karrieren von Hunderttausenden weißen Männern, die sonst eine gute Laufbahn vor sich gehabt hätten.

John Carter hat versucht, einen Weg zu skizzieren, diese Sprengkraft gewaltlos abzuleiten und dennoch die enteignete Generation wieder in ihr Recht einzusetzen.5 Doch es ist bezeichnend, daß die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen trotz ihrer prinzipiellen Legalität mehr mit den Proskriptionen einer revolutionären Diktatur als mit dem zu tun haben, was man normalerweise Reformpolitik nennt. Carter will die Tatsache, daß Rassendiskriminierung in den Vereinigten Staaten prinzipiell auch gegenüber Weißen illegal ist, nutzen, um insbesondere die Universitäten in den Ruin zu klagen. Es geht ihm nicht darum, vor Gericht eine Entschädigung zu erstreiten. Da eine ganze Generation weißer Männer geschädigt wurde, ist das sowieso nur für einzelne Glückliche möglich. Sein Ziel ist es, durch Sammelklagen Unternehmen und Institutionen, vor allem die Universitäten, die auf DIE-Basis eingestellt haben, systematisch in den Bankrott zu treiben. Die juristische Überlegung dahinter ist, daß bei der Übernahme durch eine neue Trägergesellschaft nach einem Bankrott die alten Arbeitsverträge nicht mehr gelten. Auf diese Weise wäre es legal möglich, die ganze Bagage der DIE-Profiteure auf die Straße zu setzen und die Posten neu zu verteilen.

Ich denke kaum erklären zu müssen, wie radikal dieser Vorschlag ist. Die Rechtssicherheit würde durch solche Prozesse in tausend Stücke gerissen. Ja, auf dem Papier durfte man auch nicht gegen weiße Männer diskriminieren, aber die Rechtsprechung der vergangenen Jahrzehnte war so, daß man es tun mußte, um ruinösen Klagen wegen Diskriminierung anderer Gruppen zu entgehen, wenn weiße Männer zu erfolgreich waren. Daraus rückwirkend einen Strick zu drehen, gleicht der Argumentation der Anklage in den Mauerschützenprozessen, in der DDR sei Mord ja auch strafbar gewesen. Dabei haben wir noch gar nicht eingepreist, daß die so Enteigneten sich natürlich wehren werden. Eugyppius hat zu Recht gegen Savage angemerkt, daß Quoten ja nicht erst im Jahr 2014 eingeführt wurden. Die Mitte der 2010er Jahre war vielmehr die Zeit, in der genügend Diversity Hires in Machtpositionen vorgerückt waren, um die Kontrolle zu übernehmen.6 Das erklärt nicht zuletzt die plötzliche Durchschlagskraft einer Reihe von Ideen aus den äußersten Rändern intersektionaler Interessenvertreter, für die sich die Sammelbezeichnung „woke“ eingebürgert hat. Carter selbst vergleicht seinen Vorschlag mit der Politik Heinrichs VIII. von England, der die katholischen Klöster enteignete, um die Gründung der anglikanischen Kirche zu finanzieren. Daß Heinrich mit dem Henker regiert hat, läßt Carter dabei wohlwollend aus.

Aber irgendetwas wird passieren. Die soziologischen Voraussetzungen für eine revolutionäre Schicht sind bekannt: Männer, die prinzipiell zur Elite gehören könnten, die auch einmal in ihrem Leben davon ausgegangen sind, daß sie dazugehören würden, die aber unter den gegenwärtigen Bedingungen keine Perspektive haben. Solche Männer sind die einzigen, die tatsächlich eine Gegenelite bilden können. Nicht als Selbstbezeichnung einiger Randprojekte in irgendwelchen unbedeutenden Szenen, sondern als politische Macht. Dies hat niemand so sehr erforscht wie der russisch-amerikanische Begründer der Kliodynamik: Peter Turchin.

[Für den zweiten Teil abonnieren Sie bitte Fragen zur Zeit. Ein Vollabonnement kostet nur 7 Euro im Monat, und man braucht keine Kreditkarte mehr. Ich schreibe das nun hier extra hin, weil mir immer wieder Leute kommen, die meinen, nur weil ich die Bezahlschranke nicht nach den ersten fünf Zeilen setze, sei der Text zu Ende. Wenn Sie von hier aus weiterlesen können, dann sind Sie bereits ein Vollabonnent und dürfen sich nicht angesprochen fühlen.]

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