Methodenprobleme der Liberalismuskritik
Der Liberalismusstreit innerhalb des rechten Lagers hat zunächst alle Anzeichen einer bedeutungslosen Akademikerkontroverse.
(Bild erstellt mit Midjourney)
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Ob die Abkunft heutiger woker Ideologie auf Adam Smith oder Karl Marx zurückgeht, ob man sich positiv auf John Locke berufen darf oder nicht, das scheint eine jener gefährlichen Fragen zu sein, deren theoretische Beantwortung nach Absolutheiten verlangt, die in der Praxis nur sinnlos spalten.
Für den Denker ist seine geistige Ahnenreihe alles, für den Staatsmann nichts.
Ob Liberalismuskritik essentiell sinnvoll, oder sinnlose Spalterei sei, diese Frage läuft am Ende auf einen Streit über die Methode der Kritik hinaus. Das läßt sich sehr gut an der jüngsten Debatte zwischen Paul Gottfried und Ricardo Duchesne zeigen. Unter dem Titel „Is 18th Century Liberalism to Blame for All Our Problems?“ antwortete Gottfried im Dezember in der Zeitschrift Chronicles, auf einen sehr bemerkenswerten Text von Duchesne vom vergangenen Juli: „Blame Liberal Pluralism for the Impending Ethnocide of Europeans.“ Duchesnes Ausgangstext habe ich bereits damals unter dem Titel „Mexican Standoff“ behandelt.
Gottfried sieht folgendes Problem: Liberalismuskritiker suchen nach dem Punkt in der Geschichte, an dem der Westen vom Kurs abgekommen ist. Das an sich sei nicht nur richtig, sondern unterscheide überhaupt erst die richtige Rechte von konservativen Roßtäuschern.
„Anders als schwindlerische Konservative, tun echte Männer der Rechten nicht so, als ob die Dinge erst vor einigen Jahren aus dem Ruder gelaufen seien; und als ob wir bloß zu Reagans Amerika zurückkehren müssten, um wieder zum strahlenden Leuchtturm der Hoffnung für den Rest der Welt zu werden. Man muß ihnen zugute halten, daß diese Beobachter einen viel tieferen Sinn für unsere Entgleisung als Gesellschaft haben.“
Gottfried dringt zum Kern des Sache vor, wenn er der Liberalismuskritik im rechten Lager keinen inhaltlichen, sondern einen methodischen Fehler vorwirft. Es geht ihm nicht darum, daß einige Leute Locke, oder Mill falsch verstanden hätten, also Nachhilfe in der Textinterpretation bräuchten. Er stört sich auch nicht an dem Material, welches Kritiker der liberalen Tradition angesammelt haben.
Er zielt auf das methodische Grundproblem welches auftritt, wenn jemand, anstelle die Entwicklung der Geschichte selbst zu verfolgen, darangeht und wie Duchesne die Frage aufwirft, welche Ideen in der Konsequenz später einmal zu Ergebnissen führen, die in ihrer eigenen Zeit nicht auftraten: Jede Epoche folgt auf eine andere und es ist nur selbstverständlich, daß sie durch die vorhergehende beeinflußt wurde. Nur weil man den Entwicklungsfaden etwa von den Gedanken John Lockes bis zu den Gedanken John Rawls nachverfolgen kann, beweist man damit nicht Locke als die Ursache einer Verfehlung, die man bei Rawls entdeckt zu haben meint, denn auch Locke stand nicht im luftleeren Raum und was hinderte einen, diesen Faden bis zum Beginn unserer schriftlichen Überlieferung in der Antike zurückverfolgen?
Gottfried merkt zurecht an, daß bereits im Galaterbrief des Paulus steht, daß Juden und Griechen, Männer und Frauen, alle eins in Christus würden, warum also den Egalitarismus nicht, wie einige Neuheiden es ja tatsächlich tun, statt den Aufklärern und Liberalen den Urchristen anlasten?
Es ist möglich die Entwicklungslinien der Ideen durch die Geschichte zu verfolgen, etwas anderes ist es, sich auf eine mutmaßlich erkannte Logik der Ideengeschichte zu berufen.
Genau das versuchen aber die allermeisten Liberalismuskritiker. Sie stehen ja vor dem Problem, daß der klassische bürgerliche Liberalismus seine große Zeit in der Epoche der europäischen Weltherrschaft hatte und daß gerade die angelsächsischen Vorreiter dieses Liberalismus damals die größten Gewinner waren. Und nicht nur in Fragen der nationalen Macht standen die Liberalen der Vergangenheit doch weitgehend so da, wie der heutige Rechte sich sein Land erträumt. Ein LGBTQ-Paradies war das viktorianische England jedenfalls nicht und seine Kunst war bürgerlich zivilisiert, aber stilvoll bis hinunter in den alltäglichen Ausdruck der Straßen.
Als es vor einigen Jahren möglich wurde, Filmaufnahmen der Vorkriegszeit digital zu restaurieren, waren die Leute verblüfft über die Eleganz einfacher Straßenszenen in denen auch der Arbeiter ein anständiges Jackett trägt und alle, vom Kind bis zur Großmutter einen Gang haben, der die Wirkung einer langen Kulturgeschichte zeigt.
Der Liberalismuskritiker müht sich dann aufzuzeigen, daß heutige Ideologien, die wie der Wokeismus offenkundig schädlich sind, die Konsequenz aus den damaligen Ideen des bürgerlichen Liberalismus seien. Daß dem tatsächlich der Fall ist, das läßt sich nicht von vorneherein ausschließen. Doch wie wollte man diese These belegen?
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