Nach dem Dogma leere Riten
Die Weihnachtsfeier ist vorüber und wir gehen stracks auf Neujahr zu. Es ist die ritualisierteste Zeit des Jahres. Was immer das in unserer Zeit noch heißen mag.
(Bild erstellt mit Midjourney)
Weihnachten und Neujahr. Die beiden gegensätzlichsten Feste des jährlichen Kalenders. Neujahr: Eine unverblümt diesseitige Feier, woran auch der Namenstag des Heiligen Sylvester, nichts ändert, von dem sowieso längst niemand mehr sagen könnte, was er eigentlich gemacht hat und warum er heilig sein soll: Krach, Alkohol, Böller.
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Weihnachten hingegen ist das letzte christliche Fest, daß noch in großem Stil gefeiert wird. Ostern, von Pfingsten ganz zu schweigen, sind längst nicht mehr, als ein Anlaß für Schulferien. Was auch bedeutet: Im Leben aller, die keine Kinder im Schulalter haben, spielen diese Feiertage überhaupt keine Rolle mehr.
An Weihnachten hat sich genug religiöser Rest gehalten, um jedes Jahr erneut die Klage aufkommen zu lassen, daß die Äußerlichkeiten des Festes seinen religiösen Gehalt überwuchern. In ihrer flachen Form richtet sich diese Kritik bloß gegen den Konsum. Gegen die neue Spielkonsole für den Sechsjährigen. Tiefere Christen sehen aber, daß auch die gesunden, traditionellen Feierlichkeiten, das Zusammenkommen der Familie, die religiöse Andacht verdrängen, auch in den Fällen, in denen die Spielzeugindustrie nicht der größte Empfänger von Geschenken ist.
Eines der Dinge, die ich über diese stille Zeit getan habe, hat mit dem christlichen Abendland auch wenig zu tun: Konfuzius lesen. Das heißt natürlich nicht Konfuzius selbst, der keine Schriften hinterlassen hat, sondern die Lehrgespräche, die von ihm überliefert sind, teilweise erst Jahrhunderte nach seinem Tod kodifiziert. Der Gelehrtenstreit um die Authentizität des Meister Kung soll uns hier aber nicht weiter befassen.
Was mich an seinen Gesprächen und Denksätzen fasziniert ist die Bedeutung dessen, was im chinesischen mit Li bezeichnet und in europäische Sprachen offenbar nur sehr unzureichend übersetzt werden kann. Meistens verwenden die Übersetzer den Plural „die Riten“, oder „die Sitten“. Ich bin kein Fachmann für die Entwicklung der chinesischen Sprache in den letzten zweieinhalbtausend Jahren, und kann deshalb nur feststellen, daß es ein bedenkenswerter Mangel unserer europäischen Sprachen ist, nicht über ein Wort zu verfügen, welches die richtige Haltung und Verhaltensweise der Menschen in allem und allem gegenüber, von den kleinen Verrichtungen des Alltages, bis zur kosmischen Ordnung beschreibt. Ein schwacher Nachhall solcher Weltsicht mag in dem Ursprung des Wortes Religion, aus dem lateinischen Wort für Rückbindung vorhanden sein.
In Kapitel 27 der Schulgespräche, den Gia Yü, wird Konfuzius nach den Sitten/Riten gefragt, nicht nach diesen oder jenen, sondern nach ihrer allgemeinen Bedeutung, also nach eben dem Li, mit dem sich die Übersetzer so schwer tun.
„Meister Kung weilte in Muße. Dsï Dschang, Dsï Gung und Yen Yu standen vor ihm. Das Gespräch kam auf die Sitte. Meister Kung sprach: »Setzt euch, ihr drei, ich sage euch, durch die Sitte vermögt ihr in allen Lagen euch vollkommen durchzufinden.«
Dsï Gung nahm das Wort und erwiderte: »Darf ich fragen, wieso?«
Der Meister sprach: »Ehrfurcht ohne Sitte ist grob, Höflichkeit ohne Sitte ist Geschwätz, Mut ohne Sitte ist widerspenstig.« Der Meister fügte hinzu: »Der Schwätzer heuchelt Liebe.«
Dsï Gung sprach: »Darf ich fragen, wie kann man den Kern davon treffen?«
Der Meister sprach: »Der Sitte? Die Sitte stellt eben fest, was der Kern ist.«
Dsï Gung setzte sich und Yen Yu trat vor und sprach: »Darf ich fragen: Dann ist die Wirkung dieser Sitte wohl, daß sie das Schlechte beseitigt und das Gute vervollkommnet?«
Der Meister bejahte.
Yen Yu fragte: »Wieso das?«1
An dieser Stelle kommt Konfuzius auf die Feste zu sprechen:
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