Ein Unterstützer von Fragen zur Zeit schrieb mir kürzlich, ob ich mich nicht zu der dritten? vierten? fünften? Remigrationsdebatte äußern will.
(Ich ohne Plan, nicht einmal für den weiteren Verlauf des Abends)
Genauer gesagt, bemängelte er meinen Mangel an konstruktiven Vorschlägen. Tatsächlich, wie es der Zufall so will, arbeite ich gerade an einem Text, den ich bald unter dem Titel „Die manageriale Remigration“ veröffentlichen werde. Aber ich sehe schon voraus, daß das diesen Unterstützer nicht zufriedenstellen wird. Das hat einen guten Grund. Der Mann will von mir einen Plan erfahren, eine politische Strategie, wie man aus der Misere herauskommt, nachdem das Leipziger Urteil das Schlagwort „Remigration“ in der Bundesrepublik zwar nicht kriminalisiert hat – das kann ein Verwaltungsgericht gar nicht –, aber die Grundlage dafür geschaffen hat, Medienunternehmen, die es verwenden, nach Vereinsrecht zu verbieten. Das heißt: auf Anordnung des Innenministeriums, gegen welche man dann – mit beschlagnahmtem Vermögen – Klage erheben kann.
Sehe ich aus wie jemand, der einen Plan hat? Spaß beiseite – oder vielleicht besser nicht –, denn Humor werden wir brauchen können. Aber von vorn: Ich hatte kurz nach dem von Correctiv ausgelösten Skandal um das Remigrationstreffen von Potsdam die Dynamik beschrieben, die hinter dieser Repression steht: erst gegen den ethnischen Volksbegriff, dann gegen Remigration. Es ist nun einmal so, daß Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Nationalstaatlichkeit einander in Zeiten hohen Migrationsdrucks ausschließen. Bestenfalls kann man zwei von dreien haben, aber nicht alle drei. Der Grund ist, daß Einwanderer Aufenthaltstitel erlangen, die ihnen unter rechtsstaatlichen Bedingungen leichter vergeben als wieder entzogen werden können. Da in einer Demokratie aber auch einmal die anderen gewinnen können, so wird es in einer Demokratie früher oder später auch einmal eine Mehrheit für mehr Einwanderung geben – wenn nicht in den Umfragen, so doch im Parlament. In Anlehnung an das magische Viereck der Wirtschaftspolitik habe ich dies das magische Dreieck der Migrationspolitik genannt.
Da einige Personen, vor allem Maximilian Krah und seine Unterstützer, so tun, als müsse man nur die Hände von den Staatsbürgern lassen und dann könne man die restlichen Migrationsprobleme bekämpfen, sei hier folgendes noch einmal verdeutlicht: Der Ratscheneffekt der Migration setzt mit der Duldung eines eigentlich ausreisepflichtigen Migranten ein, nicht mit seiner Einbürgerung. Die Einbürgerung ist nur der am schwersten zu entziehende Aufenthaltstitel, aber die Grunddynamik hinter allen ist dieselbe: sie sind einfacher zu verteilen als einzuziehen. Das bedeutet, daß eine demokratisch bestimmte Migrationspolitik im Rechtsstaat einer Asymmetrie unterliegt. Nur eine Seite – die der Einwanderungsbefürworter – kann ihre demokratische Macht auf Zeit in bleibende Veränderungen umsetzen. Die andere kann auch beim größten Wahlerfolg nur temporär Einhalt gebieten. An dieser Dynamik ändert auch kein Meinungsklima, keine Metapolitik und kein Sieg im Kulturkampf irgend etwas. Diese Dinge können lediglich die Wahrscheinlichkeiten von Wahlerfolgen beider Seiten beeinflussen. Umgekehrt aber bestimmen die durch die Migrationsratsche geschaffenen Fakten die Metapolitik. Deutschland als Land der Deutschen ist heute eine radikale Forderung, was sie vor fünfzig Jahren nicht war. Dies ist deswegen so, weil diese Forderung radikal gegen den Status quo gerichtet ist.
Dieser Status quo entzieht sich aber fortdauernd selbst die eigene Substanz. Rechtsstaat und Demokratie werden unter den Bedingungen der Massenmigration selbst zu den effizientesten und gründlichsten Vernichtern von Rechtsstaat und Demokratie. Und damit ist es wie mit der Einwanderung: Man kann diese Entwicklung bedauern, aber die dahinterliegende Dynamik nicht ändern. Das magische Dreieck der Migrationspolitik ist nicht hintergehbar – nicht für uns, aber auch nicht für die Gegenseite. Rechte können weitere Einwanderung nicht dauerhaft verhindern. Aber: das Establishment kann es auch nicht, und damit kann es gar nicht verhindern, daß die Grundlage seiner Existenz erodiert.
Die Folge ist ein Abnutzungskampf mit verkehrten Fronten und ungeklärtem Verlauf. Verkehrte Fronten deshalb, weil die Einwanderungsgegner ironischerweise weniger an den homogenen Nationalstaat gebunden sind als die Einwanderungsbefürworter. Es geht hier nicht nur um das populistische Aufbäumen gegen längst geschaffene Tatsachen – damit könnte das Altparteienkartell leben. Es geht darum, daß das Parteiensystem der alten Bundesrepublik in der multiethnischen Realität nicht existieren kann. Ungeklärter Verlauf deshalb, weil die Einwanderungsfrage sich nun einmal nicht aus den anderen Fragen unserer Zeit isolieren läßt – weder von den weltpolitischen, noch von den beiden anderen demographischen Fragen, der des Rentensystems und der des Machtwechsels nach den Boomern. Während ich dies schreibe, kämpfen russische Soldaten gerade die letzten ukrainischen Widerstandsnester in Kupjansk und Pokrowsk nieder; Netanjahu hat zu niemandes Überraschung den Waffenstillstand in Gaza gebrochen, während die Deindustrialisierung in Deutschland jede Hoffnung vernichtet, den Renteneintritt der fetten Boomerjahrgänge um das Jahr 1965 wenigstens auf einem guten industriellen Kapitalstock zu erwarten. Zudem werden die Boomer, wie jede Generation, einmal von der Bühne abtreten. Durch ihre schiere Masse an der Wahlurne wie in den Führungsrängen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verhindert die Generation der jetzt Alten Reformen. Das bedeutet aber nur, daß die einsetzenden Korrekturen in dem Moment ihres Machtverlustes um so drastischer und unberechenbarer werden.
In dieses Chaos hinein wird sich die Geschichte weiterentwickeln. Und die Geschichte muß sich entfalten. Ich habe deswegen keinen Plan, weil es unsinnig ist, auf der Basis des Gegebenen Pläne zu schmieden, die unter den Bedingungen des Gegebenen undurchführbar sind.
Zu solchen Plänen zählen auch und gerade diejenigen, die ihren angeblichen Realismus zur Schau stellen – die vor allen anderen. Der Versuch, mitten in einer geschichtlichen Fundamentalkrise den Status quo des gerade aktuellen current year einfrieren zu wollen, zuzüglich von ein bis zwei Modifikationen, die dem Urheber dieser Phantasie gerade am Herzen liegen, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Daß Martin Sellner seine legale und friedliche Remigration durch demokratische Wende bekommt, ist sehr viel wahrscheinlicher, als daß das passiert.
Dem Intellektuellen, sofern er als Intellektueller denkt und nicht als politischer Akteur handelt, bleibt nur zu beschreiben, was ist. Darin liegt die tiefe Weisheit Hegels von den Eulen der Minerva, die erst in der Dämmerung fliegen. Eine Epoche wird erst erkannt, wenn ihre Zeit abgelaufen ist.


