Die Neue Rechte steckt in einer strategischen Sackgasse. Ihre Metapolitik wird zwischen geschaffenen Fakten und populistischem Zirkus zerrieben.
(Friedrich der Große nach der Schlacht bei Kolin, nach Julius Schrade: Rijksmuseum, CC0, via Wikimedia Commons)
Die Neue Rechte hat ein Problem. Sie steckt in einer strategischen Klemme und kommt nicht raus. Das Problem ist einfach, aber tiefgreifend: Während auf der einen Seite der Bevölkerungsaustausch fortschreitet und damit sowohl demographische als auch juristische Fakten schafft, versinkt der metapolitische Strategieansatz, der die Neue Rechte im Kern ausmacht, im Populismus. Beides verstärkt einander: Weil der Bevölkerungsaustausch Fakten schafft, die nicht ohne weiteres umgekehrt werden können, werden auf der Rechten populistische gegenüber ernstzunehmenden Akteuren im internen Machtkampf immer wettbewerbsfähiger. Denn die Populisten richten ihr Auftreten und ihre Strategie darauf aus, daß sie den Zorn über die Erosion der Gesellschaft in Stimmen umwandeln, ohne jemals liefern zu müssen. Weil die Rechte dann durch Populisten vertreten ist, geht der Bevölkerungstausch weiter, wird nicht einmal aufgehalten, geschweige denn durch Remigration umgekehrt.
Was ich nun schreibe sind keine Überlegungen, die mir gerade erst gekommen sind. Vieles davon ist mehrere Jahre alt. Es gibt aber für alles eine richtige Zeit. Die Neue Rechte ist nun auch nicht mehr jung. Es ist an der Zeit Bilanz zu ziehen. Zunächst: Was meine ich hier unter Neuer Rechten? Die übliche Genealogie geht bekanntlich auf die französische Nouvelle Droite der 1960er zurück. Wie überall wo es auftritt verschleiert das Attribut „neu“ im Namen die tatsächlichen Phänomene. Es ist nun einmal so, daß alles Neue nun einmal „neu“ oder „jung“ ist. Wird das Bestandteil eines Namens, dann wird es irgendwann ulkig. Man denke an die „Art Nouveau“, die nun seit über hundert Jahren aus der Mode gekommen ist. Diese Genealogie ist auch nur bedingt hilfreich. Denn sie beschreibt eine Ideengeschichte von Autor zu Autor, wenn überhaupt, keine kontinuierliche politische Bewegung. Als solche ist das, was wir heute als die Neue Rechte bezeichnen erst nach der Jahrtausendwende in Erscheinung getreten und fest konstituiert hat sie sich erst Anfang der 2010er Jahre. Sie entstand in scharfer Abgrenzung zu der von ihr als „altrechts“ bezeichneten Bewegung des Nationalen Wiederstandes, des Neonazismus und der Subkultur der Skinheads. Auch wenn „altrechts“ im neurechten Sprachgebrauch ein Sammelbegriff wurde, der Gabriele D’Annunzio, Adolf Hitler und Glazenkalle aus dem Plattenbau zusammenfasst, richtete sich die Absetzung in der Praxis vor allem gegen den letzteren. Weil die Folgen des Bevölkerungsaustausches zuerst in der Unterschicht spürbar wurden und allgemein die Zeit bis zur Finanzkrise 2008 die letzte Blütezeit der Mittelschicht war, proletarisierte sich die rechte Szene im Verlauf der 80er und 90er deutlich. Die Mischung aus Unterschichtenhabitus, Verliererressentiment, welches das Dritte Reich zur Aufbesserung des eigenen Selbstbildes benutzte und eingeschleusten Provokateuren der Inlandsgeheimdienste, deren Hauptmotivation damals nicht der Schutz „unserer Demokratie“, sondern die Rechtfertigung ihres Budgets in einem vor inneren Feinden hundertprozentig sicheren Staat war, führte zu dem, was die Internetkultur später LARP nennen sollte. Dazu war es nicht irgendein LARP, sondern das was gelarpt wurde, war die politische Militanz, der gewaltsame Aufstand, bevorzugt nach dem dritten, fünften oder siebten Bier. Die Neue Rechte die sich dagegen wandte bestand wesentlich aus Studenten und Akademikern, die aus weltanschaulicher Überzeugung Rechts waren, aber weder mit dem Habitus, noch mit den tumben Gewaltfantasien der Skinheadszene etwas zu tun haben wollten. Statt mit Baseballschlägern eine Straßenschlacht wollten sie mit Metapolitik den öffentliche Diskurs beherrschen.
Da ich schon spüre, wie mir die Ideengeschichtler der Bewegung ihre Sammlung französischer Essays aus der Mitte der 60er Jahre unter die Nase halten wollen: Mehr als in jeder genealogischen Ideengeschichte, liegt die Verbindung zwischen der Neuen Rechten und der Nouvelle Droite in der Ähnlichkeit ihrer Ursprünge: Auch die Nouvelle Droite war eine Bewegung von Akademikern, die sich von einer militanten Rechten abgrenzten. Abgesehen davon aber, könnten die Unterschied kaum größer sein. Die Nouvelle Droite laborierte im Kern daran, daß sie eine Rechte war, die keine andere Existenzberechtigung hatte, als den eben rechts zu sein und das betraf die Nachahmer in Deutschland ebenfalls. Der Bevölkerungsaustausch war damals noch lange nicht spürbar. 68 und die Folgen mochten einem vom Stil her nicht gefallen, aber ein dumpfes Unbehagen am Gesamtkurs der Gesellschaft reicht für zeitkritische Bücher, nicht zur Grundlage einer politischen Bewegung, selbst dann nicht, wenn sich dieses Unbehagen im Nachhinein als vollkommen berechtigt herausstellt.
Auch waren die durch den Algerienkrieg geformten französischen Militanten der Organisation de l’armée secrète keine Larper aus der Unterschicht, sondern aktive und ehemalige Soldaten, die immerhin einen Militärputsch gegen de Gaulle versuchten, ihn um ein Haar ermordet hätten und nach der Unabhängigkeit Algeriens einen Stadtteil von Algier gewaltsam besetzten. Es war etwas völlig anderes, als die Bierseeligkeit der Skinheadbewegung.
Im Gegensatz zur Absetzung der Nouvelle Droite von Militanten und verschwörerischen Offizieren ist der Unterschied zwischen Neuer Rechter und Alter Rechter einer des sozialen Milieus. Das klingt in unseren an egalitäre Phrasen gewohnten Ohren wie eine Verurteilung, aber ein Proletenaufstand hat noch nie in der Weltgeschichte irgendwo hin geführt. Das größte Problem der Rechten war noch um das Jahr 2010 herum die Tatsache, daß dort nicht nur keine Elitenbildung stattfand, sondern im Gegenteil eine Atmosphäre herrschte, die auf Menschen mit dreistelligem Intelligenzquotienten abstoßend wirkte. Wobei das traurigste daran dann die Handvoll derjenigen Begabten war, die sich trotzdem engagierte, sich die Nase zuhielt und dabei nichts erreichte außer die eigene Biographie zu verbrennen.
Ich schreibe deshalb so lange über die Herkunft der Neuen Rechten, weil man diese Herkunft verstehen muß, um ihr Scheitern zu verstehen. Die Neue Rechte hat die Machttheorie eines Hooligans gegen die eines Philosophieprofessors getauscht. Das war eine Verschlimmbesserung. Anstelle des Straßenkampfes sollte der Kampf der Ideen gewonnen werden. Macht versprach man sich nicht von gewaltsamen Umstürzen oder einem Bürgerkrieg am Tag X, sondern von erfolgreicher Metapolitik. Macht kommt am Ende nicht aus dem Gewehrlauf, sondern aus der kulturellen Hegemonie. Das ist die Grundüberzeugung des Neurechten.
Dem lag keine schwammige Vorstellung von gewaltfreiem Widerstand zugrunde, wie sie so viele bürgerbewegte Quer-, Schräg-, Selbst und sonstige Denker kennzeichnet, sondern durchdachte Strategie auf einer bestimmten theoretischen Grundlage. Die beiden zentralen Begriff der neurechten Theorie sind „Overtonfenster“ und „Metapolitik“. Das Overtonfenster ist benannt nach seinem Erfinder Joseph P. Overton, einem Elektroingenieur, der später Jura studierte und dann als Politikberater am libertären Mackinac Centers for Public Policy tätig war.1 Sein Overtonfenster beschreibt zunächst nichts weiter als das Verhältnis bestimmter politischer Positionen im gesellschaftlichen Diskurs: Manche sind Mehrheitsmeinung, andere liegen am Rand, wieder andere gelten dem Mehrheitsdiskurs als inakzeptabel. Als Befund ist dieses Overtonfenster natürlich richtig. Man kann ganz offensichtlich zu jedem gegebenen Zeitpunkt die möglichen politischen Positionen auf einer solchen Skala einordnen. Das sagt aber noch nichts über Ursache und Wirkung aus. Die entscheidende Behauptung von Overton und seinen Nachfolgern ist nicht, daß es einen solchen Diskursrahmen gibt, sondern daß politische Veränderungen durch eine Verschiebung dieses Diskursfensters verursacht werden. Für die bewusste, langfristige Beeinflussung dieses Diskursfensters hat sich der Ausdruck Metapolitik durchgesetzt. Die Kernannahme hinter der Theorie des Overtonfensters und die Grundprämisse der Neuen Rechten ist, daß Metapolitik die Politik bestimmt. Das ist keineswegs selbstverständlich, Ursache und Wirkung können schließlich auch genau so gut umgekehrt verlaufen.
Wir haben in jüngerer Zeit plötzliche Meinungsumschwünge gesehen, bei denen es sehr schwierig ist, die metapolitische Vorarbeit herbeizukonstruieren, die ihn verursacht haben sollte. Diejenigen, welche im Jahr 2022 Zwangsimpfungen befürworteten, hätten sich das im Januar 2020 nicht vorstellen können, mehr noch: Dieselben Menschen können sich heute wieder nicht vorstellen, daß eine solche Meinung damals im Zentrum des Overtonfensters lag. Nun mag die Coronazeit ein Sonderphänomen sein und sie liegt hinter auch hinter uns. Wie sieht es beim Kernthema der Neuen Rechten aus: Dem Bevölkerungsaustausch? „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, bis weit in die 90er hinein war das feste Position der CDU/CSU. Also immerhin der damals regierenden Partei. Der Spiegel veröffentlichte 2013 einen Remigrationsplan, den Helmut Kohl im Oktober 1982 mit Margaret Thatcher besprochen hatte und der jeden zweiten Türken zurück in seine Heimat befördern sollte. Soweit kam es nicht, aber für einige wenige Jahre zu Beginn von Kohls Kanzlerschaft, verließen tatsächlich mehr Ausländer Deutschland, als neue hereinkamen.2 Kohls Vorgänger Schmidt war ein entschiedener Gegner weiterer Einwanderung. Selbst die radikale Änderung des Einwanderungsrechtes in den Vereinigten Staaten durch den Heart-Celler Act von 1965, der die Herkunftsquoten des Immigration Act von 1924 aufhob, geschah mit dem Versprechen, daß sich die ethnische Zusammensetzung der Vereinigten Staaten dadurch nicht ändern werde.
Aber wenn der Bevölkerungsaustausch als er begann schon nicht mainstreamtauglich war, war er wenigstens ein Projekt der intellektuellen Avantgarde? Wie sieht es in der Ideenwelt der 68er aus? Der großen metapolitischen Bewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die auch für die Neue Rechte als strategisches, wenn auch nicht inhaltliches Vorbild herhalten musste? Dort tauchen die Bewohner der Dritten Welt zwar als ein, nicht das (!), revolutionäres Subjekt auf, aber dabei dachten die 68er an Che Guevarra und Ho Chi Minh. Revolutionäre, die Kolonialmächte und Kapitalisten aus ihren Ländern jagen! Nicht an diejenigen, die man damals noch Gastarbeiter nannte. Die 68er und die darauffolgenden linken Ideologen produzierten einen Haufen komischer Marxinterpretationen, komischer Freudinterpretationen und feministischer Literatur. Als die Weichen für die heutige multiethnische Gesellschaft gestellt wurden, spielten Einwanderer im Denken und im akademischen Diskurs bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Das gilt übrigens auch für den rechten Diskurs der damaligen Zeit.
Es läßt sich überhaupt nicht von der Hand weisen: Der Multikulturalismus als Ideologie entstand erst in Folge der real existierenden multiethnischen Gesellschaft. Er ist die Legitimationsideologie bereits vorhandener Zustände. Eigentlich sollte die Neue Rechte das selbst merken, immerhin betont sie immer wieder, daß die Mehrheit des Volkes über Jahrzehnte hinweg in Umfragen gegen mehr Einwanderung gewesen ist und der Bevölkerungsaustausch folglich ohne demokratische Legitimation durchgedrückt wurde. Damit aber funktioniert beim Kernthema der Neuen Rechten die Politik nicht so, wie neurechte Theorie behauptet, daß Politik funktioniert.
Für Strategie und Taktik griff die Neue Rechte in die Trickkiste des Gegners und las fleißig die Handbücher der Organisatoren von Farbrevolutionen und Regime Changes: Gene Sharp und Srđa Popović. Das brachte auch die erste fundamentale Kritik der Neuen Rechten hervor, die damals von einer Frau veröffentlicht wurde, die unter dem Namen Ozimandias schrieb. Der heute unauffindbare Text (für Hinweise auf das Gegenteil wäre ich sehr dankbar) trug den Titel: „Die Cargokultrevoluzzer“ und ist nicht identisch mit dem Text gleichen Namens, den ich vor zwei Jahren im Angedenken veröffentlicht habe. Es war der mit Abstand beste politische Text, den ich je aus weiblicher Feder gelesen habe. Ozimandias Wortschöpfung vom Cargokultrevoluzzer ist natürlich eine Anspielung auf die Cargokulte der melanesischen Ureinwohner. Die Geschichte ist bekannt: Während des Zweiten Weltkrieges verteilten amerikanische Soldaten Teile ihres Proviants, der „Cargos“, an die Einheimischen. Nach dem Abzug der Amerikaner und dem Ausbleiben der Cargos bildeten sich Kulte, die das Verhalten des amerikanischen Flughafenpersonals nachahmen, in der Hoffnung auf die Wiederkehr der großen Vögel, die ihnen früher die Fresspakete gebracht haben. Das Wort Cargokult ist seither synonym für ein Verhalten geworden, bei dem jemand die oberflächlichen Handlungen anderer nachahmt und gleiche Ergebnisse erwartet. Die neurechten Metapolitiker sahen Anfang der 2010er auf den arabischen Frühling und auf eine Kette von Farbenrevolutionen, die mit dem Sturz Slobodan Miloševićs am 5. Oktober 2000 begonnen hatte. Dabei übersahen sie durchaus nicht, daß diese Organisationen des gewaltlosen Widerstandes, wie die serbische Otpor, über massive Unterstützung aus dem westlichen Ausland verfügt hatten. Aber sie glaubten, daß idealistischer Einsatz und die Wahrheit und damit größere Überzeugungskraft der eigenen Ansichten diesen Mangel an Ressourcen wettmachen würde. Mag das naiv gewesen sein, oder nicht, diese Frage spielt nur eine sehr untergeordnete Rolle. Denn etwas viel Wichtigeres wurde vollständig übersehen: So wie die Melanesier nur sahen, daß Flugzeuge mit Lebensmitteln vom Himmel kamen, wenn auf der Landebahn das Bodenpersonal seiner Arbeit nachging, aber nichts von dem ganzen großen Zweiten Weltkrieg mitbekamen, oder auch nur von der Logistikabteilung die die Flugzeuge geschickt hatte, so sahen die neurechten Cargokultrevoluzzer nur die Demonstrationen in Belgrad, Tunis, oder Kairo, nicht aber daß Milošević, Ben Ali, und Mubarak von weiten Teilen der Eliten in ihren jeweiligen Ländern fallen gelassen worden waren und daß die Gründe dafür nichts mit Metapolitik zu tun hatten. In Libyen hielten erhebliche Teile der Eliten zu Gaddafi und um einen wunderbaren Satz von Ozimandias aus dem Gedächtnis zu zitieren: „Was dann folgte, nannte man nicht mehr sandfarbene Revolution, oder Wüstenblumenaufstand, es ging in die Geschichte ein unter dem prosaischeren Namen: Libyscher Bürgerkrieg.“
In dieser eingeschränkten Wahrnehmung liegen nicht eine sondern zwei grundlegende Fehler des neurechten Politikverständnisses beschlossen. Der erste ist, daß die neue Rechte die Bedeutung von Eliten unterschätzt. Ihr Politikverständnis ist im Kern populistisch. Es denkt von Unten her. Die Wende soll erzielt werden, indem man das Overtonfenster in der Volksmeinung verschiebt. Der zweite ist, daß sie politisches Handeln als Vertretung von Meinungen begreift, nicht als Aktion zur Durchsetzung eines Interesses. Letzteres ist ein wesentlicher Unterschied: Jemanden, der eine andere Meinung hat, den kann ich versuchen zu überzeugen. Interessen hingegen sind in einer Lage begründet und jemanden dessen Interessen den meinen feindlich gegenüberstehen, den kann ich nicht vom Gegenteil überzeugen, allenfalls könnte ich ihn überlisten und täuschen. Beide Fehler entspringen dem demokratischen Ideal des Bürgers, welcher sich mit seiner Meinung in den politischen Prozess einbringt. Tatsächlich war es der Romantiker der Demokratie, Jean-Jacques Rousseau, der auf diese Weise den Bourgeois vom Citoyen trennte und forderte, daß der Bürger als letzterer, ohne Eigeninteresse nur mit seiner Meinung über den Inhalt des Gemeinwohls an der Politik teilnehme.3 Die Ironie besteht darin, daß dieses Ideal auf den politischen Aktivisten gleich welcher Weltanschauung zutrifft, aber eben gerade nicht auf den Bürger, der doch die soziologische Grundlage der Demokratie bilden soll. Deswegen aber verfing es so gut bei den Neurechten, weil diese eben Aktivisten sind und einfach von sich selbst auf andere schließen. Dabei ist aber nicht nur der einfache Bürger kein idealdemokratischer Meinungsverfechter. Auch politische Akteure, die tatsächliche Machtpositionen im politischen System innehaben entsprechen dieser Vorstellung nicht. Mit der Machtposition kommt nämlich die Position und mit ihr das strukturell bedingte Interesse. Am Ende baut das neurechte Politikverständnis auf einen Typus aus dem Sozialkundeunterricht, der nur unter denen wirklich existiert, die von außen in den politischen Prozess hineinschauen und an die Scheiben schlagen.
Nun lautet eine der Grundeinsichten Oswald Spenglers, daß eine Idee und ihre politische Auswirkung zwei völlig verschiedene Dinge sind. Eine Idee kann wahr sein und trotzdem nicht zur Grundlage der Politik taugen und umgekehrt können sich unsinnige Ideen als erstaunlich durchsetzungsfähig erweisen.
Ich habe die Neue Rechte als Theorie in Grund und Boden kritisiert. Doch was waren denn die Folgen?
Wenn an Stelle des „Babo-Denkens“ (Martin Sellner dixit), welches mit Eisenstange und Baseballschläger national befreite Zonen zu errichten versucht, das Denken in metapolitischen Kategorien tritt, dann verbringt man nicht nur deutlich weniger Zeit in Gefängniszellen. Man kann eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz erreichen und Strukturen aufbauen. Dies wurde in dem Rahmen, den die einsetzende Repression übrig lies, auch erreicht. Für die politischen Veränderungen, welche in den westlichen Demokratien ab Mitte der 2010er einsetzten, war die Neue Rechte aber keine treibende Kraft, sondern Begleiterscheinung. Geprägt wurden diese Veränderungen durch den Rechtspopulismus und das bis zum heutigen Tag.
Der Rechtspopulismus hält niemals was er verspricht. Für jeden, der den Bevölkerungsaustausch aufhalten will, ist er eine Sackgasse. Aber eines muß man feststellen: Der Rechtspopulismus hat die Neue Rechte in ihrem eigenen Spiel geschlagen und die Neue Rechte hat das zum Teil noch nicht einmal gemerkt, geschweige denn, daß sie wüsste, wie sie damit umgehen soll.
Martin Sellners Buch „Regime Change von Rechts” ist die mit Abstand gründlichste und klarste Ausformulierung der neurechten Politiktheorie. Dort schreibt er:
„Die Leitstrategie der Reconquista will das identitäre Hauptziel durch eine Eroberung der kulturellen Hegemonie erreichen. Eroberung und Sicherung der nötigen politischen Macht geschieht durch den Aufbau metapolitischer Macht. Durch Parteiarbeit, Aktionismus, Massenorganisation, Gegenkultur, Gegenöffentlichkeit und Theoriebildung soll diese metapolitische Macht akkumuliert werden, bis eine kritische Masse erreicht ist. Sie soll die herrschende Ideologie brechen, die Meinungsklimaanlage unschädlich machen und die Mechanismen der Demokratiesimulation lahmlegen.“4
Hierbei hat sich der Rechtspopulismus als viel effizienter erwiesen, als die Neue Rechte. Mit einer kleinen Einschränkung: Das identiäre Hauptziel, der Erhalt der ethnokulturellen Identität und das Ende des Bevölkerungsaustausches sowie seine Umkehrung durch Remigration wird dabei nicht erreicht. In allem anderen, Eroberung der kulturellen Hegemonie, Aufbau metapolitischer Macht, Brechen der herrschenden Ideologie, unschädlich machen der Meinungsklimaanlage und lahmlegen der Mechanismen der Demokratiesimulation ist der Rechtspopulismus um Größenordnungen erfolgreicher, als die Neue Rechte. Nicht obwohl, sondern weil er auf das identiäre Hauptziel verzichtet. Das Erfolgsrezept des Rechtspopulismus liegt darin, daß er eben keine Remigration anstrebt, sondern daß er den Zorn über die Folgen des Bevölkerungsaustausches in einen beständigen Zirkus ablenkt.
Daß ihn dies der Neuen Rechten überlegen macht, liegt nicht einfach daran, daß die Wähler eben dumm seien und betrogen werden wollen. Es hat mit den Irrtümern der Neuen Rechten zu tun, die ich oben aufgeführt habe.
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