Melonisierung und dann?
Über die Außenpolitik ist die deutsche Rechte ratlos, wie eh und je.
(Meloni: Presidenza del Consiglio dei Ministri, Palazzo Chigi, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)
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Es ist schwer, irgendjemandem daraus einen Vorwurf zu machen. Die Außenpolitik ist für eine fundamentaloppositionelle Bewegung bis weit in die mittleren Phasen ihrer Entwicklung hinein eine reine, konsequenzenlose Gedankenspielwiese. Mit entsprechender Sorglosigkeit wird damit umgegangen. Es hat keine Folgen, vom praktischen Standpunkt aus betrachtet gibt es hier keine falsche Außenpolitik. Jeder kann jede beliebige Meinung haben und an ausufernden Diskussionen mangelt es nie, ohne daß die außenpolitische Wirklichkeit irgendjemanden je in die Schranken wiese. Die vertretenen Positionen sind entsprechend divers und meist entweder das Produkt freidrehender Phantasie, oder aber Produkt des innenpolitischen Diskurses.
In der Regierungsverantwortung ändert sich das Anforderungsprofil schnell. Die Außenpolitik, ersetzt mit einem Schlag die Innenpolitik als existenzielle Kampfebene. Hier, entscheidet sich dann Erfolg oder Untergang. Das gilt selbst für die Fälle, in denen eine fundamentaloppositionelle Bewegung einen vollsouveränen Staat übernimmt.
Deutschland aber liegt in der Mitte eines Kontinents, im Kraftfeld einiger der größten geopolitischen Spannungen unserer Zeit. Seine bloße Existenz hängt an einem Netz von Institutionen und Bündnissen. Es verfügt über keine eigene nukleare Abschreckung. Man kann darüber in vaterländischen Eifer geraten, aber über die Zusammensetzung der deutsche Regierung haben Teile des Auslandes ein Vetorecht. Nicht wegen der Feindstaatenklausel der Vereinten Nationen, oder irgendwelcher Geheimdienste oder Geheimverträge, sondern deshalb, weil eine deutsche Regierung, der die internationale Zusammenarbeit soweit verweigert wird, daß Deutschland unter ihr keinen Anschluß an tragfähige Bündnisstrukturen findet, gleich die nächste bedingungslose Kapitulation unterzeichnen kann.
Von ihrer Gründung bis zum heutigen Tag besteht das Dilemma der Bundesrepublik Deutschland im Auseinanderfallen ihrer identitätspolitischen und geostrategischen Lebenserfordernisse. Es ist auf der einen Seite unbestreitbar, daß das transatlantische Bündnis uns unvermeidlicherweise in die innere Zersetzung der Vereinigten Staaten mit hineinreißt. Wer ernsthaft glaubt, die amerikanische Führungsschicht würde dulden, daß sich in ihrem Vorhof ein Gegenmodell zur offenen Gesellschaft durchsetzt, den sollten allerspätestens die jüngsten Fälle Italiens und Polens eines besseren belehrt haben. Und je mächtiger der ideologisch abweichende Staat ist, desto schärfer wird die Reaktion ausfallen. Orban läßt man in dem Wissen gewähren, daß man ihn aussitzen kann, es braucht nur eine verlorene Wahl der Fidez und Ungarn tanzt im Gleichklang des Christopher Street Days.
Gleichzeitig aber ist es ein gefährliches Märchen aus den Traumtänzertagen rechter Bedeutungslosigkeit, Konrad Adenauer hätte doch einfach Stalins Angebot annehmen und Deutschland zu einem neutralen Staat machen können. Das war damals nicht möglich und wäre es heute erst recht nicht, wo ein neutrales Deutschland inmitten von NATO Staaten läge.
Geopolitisch betrachtet ist das transatlantische Bündnis eine Lösung des deutschen Sicherheitsproblems. Ich habe das bereits an andere Stelle ausführlich behandelt. Kurz Zusammengefasst: Das Problem ist, daß Deutschland im Zentrum Europas zu klein ist, um den europäischen Kontinent zu dominieren und nach außen abzuschließen. Das europäische Gleichgewicht, welches seit dem Dreißigjährigen Krieg zur Staatsraison aller anderen europäischen Mächte gehört, ist eines in dem Deutschland eine zersplitterte Knautschzone in der Mitte des Kontinents ist. Die Vereinigten Staaten lösen dieses Problem zur Zeit als raumfremder Hegemon, weil sie als eindeutig stärkere Macht in der Lage sind, sowohl die Sicherheit Deutschlands vor seinen Nachbarn, als auch die Sicherheit der Nachbarn vor Deutschland zu garantieren. Dabei haben sie eine europäische Sicherheitsarchitektur geschaffen, aus der keines der europäischen Länder für sich aussteigen kann.
Phantasien von einem gemeinsamen Aufstand Europas gegen die Vereinigten Staaten werden aber genau das bleiben: Phantasien. Es ist zwar falsch zu behaupten, die Europäische Union wäre eine Erfindung der Amerikaner, das ist zu simpel. Die europäische Union ist durchaus vor allem das Ergebnis der Politik europäischer Staaten. Nur eben innerhalb der Rahmenbedingungen, welche die US-Hegemonie geschaffen hat. Die wichtigste: Amerikanische Garantien sorgen dafür, daß Sicherheitserwägungen im Verhältnis zwischen den europäischen Staaten keine Rolle mehr spielen.
Die EU ist vieles, aber sie ist kein selbständiges Militärbündnis und kann es auch nicht werden, weil ihr eben der eindeutige Hegemon fehlt. Sollten sich die Vereinigten Staaten aus Europa zurückziehen, werden innereuropäische Sicherheitsprobleme bald wieder auf der Agenda stehen. Es ist zur Zeit schwer zu sagen, aber es mag durchaus sein, daß wir Vorboten davon bereits erleben. Ein Leser schickte mir kürzlich einen Link zu einem russisch-amerikanischen Politologen namens Andrew Korybko. Unter dem Titel: „Are France & The UK Plotting A Ukrainian Power Play Right Under Germany’s Nose?“, analysiert er die Ereignisse um Macrons Forderung nach Bodentruppen, Scholzens Weigerung Taurus-Marschflugkörper zu schicken und seinen kleinen Versprecher bezüglich der Anwesenheit von Bodenpersonal der Briten und Franzosen, sowie das abgehörte Gespräch der deutschen Luftwaffenoffiziere als Ausdruck innereuropäischer Machtrivalitäten zwischen England und Frankreich auf der einen, Deutschland auf der anderen Seite.
Nun, als in Moskau lebender Absolvent der Moskauer Diplomatenschule MGIMO ist Korybko trotz gegenteiliger Versicherungen kein neutraler Beobachter und seine Interpretation der Ereignisse ist nicht mehr als eben das: eine Interpretation. Allerdings kann ich mir tatsächlich schwer vorstellen, daß ein Mann, der so genau weiß, woran er sich nicht mehr erinnern kann, wie Olaf Scholz, aus Versehen militärische Geheimnisse seiner Verbündeten ausgeplaudert hat.
So oder so, im Ukrainekrieg haben sich die einzelnen Nationalstaaten, nicht die Europäische Union, als die maßgeblichen Akteure erweisen. Es nützt nichts, sein Profilbild mit der blaugelben Sternenfahne zu hinterlegen. Kein Paneuropäismus, weder von Links noch von Rechts kann die Tatsache übertünchen, daß in einem geeinten Europa die Fliehkräfte immer stärker seien werden, als die Kräfte, die es zusammenhalten. Europa kann manches sein, aber keine Lösung des deutschen Sicherheitsproblems. Der Versuch sich außenpolitisch auf eine Einigung Europas zu stützen, wäre nicht nur zum Scheitern verurteilt, er müsste ja auch irgendwelche Schritte zu ebenjener Einigung Europas enthalten und damit notwendigerweise die Feindschaft der anderen Europäer gegen Deutschland vervielfältigen. Warum ein solcher „europäischer Nasserismus“ in den Abgrund führen würde, habe ich an anderer Stelle bereits ausgeführt.
Wie steht es dann mit der Perspektive eines geopolitischen Frontwechsels? Kann Deutschland zu den BRICS überlaufen? Einige rechte Multipolaristen fordern das ja ganz offen. Die Antwort auf diese Frage kann auf absehbare Zeit nur ein scharfes Nein sein. Lassen wir einmal die Frage beiseite, ob Moskau sich angesichts eines unabhängigen Deutschlands, nicht schnell wieder mit dem Westen vertrüge. Der Schwerpunkt der BRICS-Staaten ist ganz eindeutig China. China hat heute schon von allen Weltmächten den stärksten Arm, aber zumindest in militärischer Hinsicht ist es ein kurzer Arm. China zieht derzeit die gesamte nichtwestliche Welt in seinen wirtschaftlichen Orbit, aber noch fehlt die internationale Präsenz, das Netzwerk an Stützpunkten, kurz, die Fähigkeiten zur militärischen Machtprojektion über welche die Vereinigten Staaten verfügen.
Selbst Rußland hat das Problem, daß sein eigener Schwerpunkt diesseits des Urals liegt. Im Falle eines Krieges gegen die NATO in Osteuropa wären die chinesischen Hilfsmöglichkeiten fraglich. Ein Deutschland das die Fronten wechselt, fände sich hinter der Front wieder.
Doch müssen wir noch gar nicht sofort über eine militärische Invasion reden, auch wenn eine woke Version der Breschnewdoktrin durchaus möglich ist. Wer denkt, die Russlandsanktionen hätten die deutsche Wirtschaft ruiniert, der male sich einmal aus, was im Falle gemeinsamer Sanktionen der Amerikaner und unserer europäischen Nachbarn geschähe. Vor die Wahl gestellt: BRICS oder Westen, wird sich die deutsche Wirtschaft immer für den Westen entscheiden, einfach weil der gesamte innereuropäische Handel nun einmal westlich ist. Um einmal die Verhältnisse klar zu machen: Im Jahr 2023 exportierten wir für 97 Milliarden Euro nach China und für 89 Milliarden nach Polen, einem Land mit einem 36tel der chinesischen Bevölkerungszahl. Unsere beiden wichtigsten Exportländer waren die USA (157 Milliarden) und Frankreich (116 Milliarden).1
Solange die Vereinigten Staaten weder zusammenbrechen, wie einst die Sowjetunion, noch eine innenpolitische und weltanschauliche 180 Grad Wende vollziehen, wird der Handlungsspielraum einer möglichen rechten Regierung in Deutschland außerordentlich eingeschränkt sein.
Das bedeutet: Sollte eine rechte Partei unter diesen außenpolitischen Bedienungen in Deutschland an die Regierung kommen, dann ist die Melonisierung unvermeidlich. Sie wird keine andere Wahl haben, als sich transatlantisch auszurichten und ihre Forderung nach einem Ende der Masseneinwanderung zurückzustellen. Von Remigration dürfte gar nicht zu reden sein.
Wie begegnet man dem? Eine Möglichkeit ist natürlich der vorerstige Verzicht auf die Bundesregierung und die Konzentration auf Länder und Gemeinden. Dann muß man sich allerdings bis auf weiteres mit einer zersetzenden, statt einer gestaltenden Rolle begnügen. Wie lange das die Wähler, aber auch die Parteimitglieder selbst mitmachen, ist eine offene Frage.
Doch wie ginge es eigentlich nach einer Melonisierung weiter? Meloni ist ja nicht das Ende der Geschichte. Die Folgen der umfassenden Misswirtschaft westlicher Systeme verschwindet ja nicht dadurch, daß eine andere Partei dieselbe Politik weiterführt. Es wird zur Zeit viel von Strategie gesprochen, doch über diese entscheidende Frage, gibt es so gut wie keine Überlegung.
Statistisches Bundesamt (2024): Außenhandel, Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland (vorläufige Ergebnisse), 2023, Link: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Aussenhandel/Tabellen/rangfolge-handelspartner.html