Mußte das denn sein? Ja.
Meine Darstellung des Scheiterns der neuen Rechten wurde nun kontrovers diskutiert, um es vorsichtig auszudrücken.
(Bild Midjourney)
Bevor ich auf inhaltliche Kritik eingehe, muß ich etwas zu dem Vorwurf sagen der überdeutlich hinter dieser Kritik durchscheint: Mußte das den sein? Mußtest du das laut sagen? Von allen Kritikpunkten nehme ich diesen kaum ausgesprochenen am Ernsthaftesten. Ich hätte unserer Sache einen schlechten Dienst erwiesen, wenn ich aus intellektueller Eitelkeit eine hässliche Wahrheit ausgesprochen hätte, die zu nichts taugt, als die Propaganda des Feindes zu befeuern.
Von allen Gründen, die ich mich zur Ausarbeitung und Veröffentlichung dieser Gedanken über das Scheitern der Neuen Rechten bewogen haben, mit denen ich mich die letzte Jahre getragen habe ist der gewichtigste, daß ich über das vergangene Jahr die Erosion des politischen Mittelbaus des rechten Lagers miterlebt habe. Von intelligenten Leuten, die trotz oft erheblichen Engagements nicht von der Politik leben, keine finanzielle Abhängigkeit und keinen Grund für ihr Engagement haben, als ihren Glauben an die Sache.
Dieser Glaube hat unter dem populistischen Zirkus, dem wiederholten Verrat derer, die man für seine politischen Vertreter zu halten gezwungen ist, aber auch unter der Erkenntnis, daß man mit den Methoden und Strategien des letzten Jahrzehnts sichtbar nicht mehr weiter kommt, schwer gelitten. Die Frustrationstoleranz guter Leute, die es nicht nötig haben sich das anzutun, ist ein begrenzte Ressource. Die Zusammenbrüche kommen dann schnell und drastisch. Erst machen die Leute grummelnd weiter, keiner sagt etwas. Doch kommt ein Schock, dann bricht das Kartenhaus zusammen.
Womit wir bei den Methoden und Strategien des letzten Jahrzehnts sind. Ich hatte geschrieben, daß man die Geschichte der Neuen Rechten verstehen muß, um ihr Scheitern zu verstehen. Die Geschichte zu verstehen, ist etwas anderes, als verspätete Ratschläge zu erteilen. Ich habe nicht vor, ins Jahr 2012 zurückzukehren und zu sagen, wie man es besser hätte machen sollen. Damals wurde aus der damaligen Lage gehandelt. Das ist eine historische Gerechtigkeit, die neurechte Vertreter heute, mit entsprechendem Abstand und sine ira et studio auch den alten Rechten der Skinheadära zugestehen sollten. Angesichts des Einströmens dieser letzten Jugendkultur der deutschen Arbeiterklasse in die politische Rechte und einer Mittelschicht, die vom Bevölkerungsaustausch noch lange nicht betroffen war, hätte man mit einem neurechten Strategiepapier im Jahr 1990 auch nichts anfangen können.
Zu dieser historischen Gerechtigkeit gehört auch, daß man erkennt, daß die Anschauungen und Äußerungen einer politischen Bewegung nicht Produkt des reinen Denkens sind, sondern unter einem äußeren Selektionsdruck entstehen, der nichts mit dem Wahrheitsgehalt einer Aussage zu tun haben muß.
Das schönste Beispiel ist diese Darstellung des sogenannten „Fließkreislaufs der Macht“ aus Martin Sellners Regimechange von Rechts1:
Dieser Fließkreislauf der Macht gehört seit vielen Jahren zum standardmäßigen identitären Schulungsmaterial. Wer ihn sich anschaut, wird sicherlich fragen, warum denn die Macht dort in diesem Kreislauf in die eine Richtung fließt und nicht in die andere. Warum vor allem der Staat keine herrschende Ideologie machen könne. Der Grund dafür ist der, daß dieser Fließkreislauf der Macht und die dahinterstehenden Modelle und Theorien zu allererst den Zweck erfüllten, Zwanzigjährige davon abzuhalten sich für den Tag X eine illegale Schußwaffe zu besorgen. Wenn so etwas auch nur ein einziges Mal vorkommt, genügt das nämlich, um eine Bewegung wie die IB zu kriminalisieren. Richtigkeit und Vollständigkeit sind demgegenüber nicht einmal zweitrangig und natürlich wird in so einer Schulung keine umfassende Theorie der politischen Macht vermittelt, allein weil eine Solche die Rolle der Gewalt abhandeln müsste und dieser Abschnitt eine einzige Zitatmine für den Verfassungsschutz wäre. Also lässt man es bleiben.
Jede Zeit hat ihre eigenen Anforderungen. Ein Irrtum, oder eine Falschheit, die zur einen Zeit irrelevant sind, sind zu einer anderen Zeit tödlich. Wir stecken heute in einer Sackgasse und der Weg aus dieser Sackgasse, wenn wir einen finden, wird das was die Rechte ist, mindestens so sehr verändern, wie es der Wandel von der Alten Rechten zur Neuen Rechten getan hat.
Wenden wir uns nun der inhaltlichen Kritik zu. Eine Forderung, die ich schlichtweg verweigere ist, meine Behauptung, die Neue Rechte sei gescheitert, mit einem Zeitplan zu belegen. Man könne ja nur dann von Scheitern sprechen, wenn das vorgegebene Ziel am Schlußtermin nicht erreicht wurde. Nach dieser Logik dürfte jemand, der Morgens zu einer Wanderung aufbricht, bei der er Abends ankommen soll, nicht am Mittag feststellen, daß seine Karte falsch ist. Auch dann nicht, wenn er sich bereits heillos verlaufen hat. Ich habe die strukturelle Unterlegenheit der neurechten Metapolitik gegenüber der populistischen Zirkusstrategie unter den Umständen von Demokratie und Rechtsstaat aufgezeigt. Wenn ich damit Recht habe, dann ist die Neue Rechte, die sich wesentlich über den metapolitischen Ansatz definiert hat, gescheitert. Wenn ich damit Irre, nun dann irre ich nicht mehr, als wenn ich einen falschen Zeitplan vorgelegt hätte.
Gegen den wesentlichsten Grund hierfür: Die Tatsache, daß Einwanderung Fakten und subjektive Rechte schafft, die in einem Rechtsstaat zwar nicht prinzipiell unumkehrbar sind, aber nur unter weit größeren Anstrengungen als die, welche andere die Seite benötigt, um neue Einwanderer hereinzulassen nachdem sie eine demokratische Wahl gewonnen hat, daß hier also keine demokratische Waffengleichheit besteht und in der Praxis ein Ratscheneffekt der den Bevölkerungsaustausch vor effektiver Remigration absichert, wurde zweierlei eingebracht:
Der erste Einwand ist der Vorwurf, daß ich damit das Framing des Gegners betreiben würde. Framing ist die Darstellung eines Sachverhalts. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie man diesen Sachverhalt günstiger framen sollte, denn als ein Spiel mit gezinkten Karten. Die anderen möglichen Frames desselben Sachverhaltes kann man bei Correctiv und beim Verfassungsschutz nachlesen.
Wesentlicher ist der Einwand, daß ja auch bei der Einwanderung Recht gebrochen würde. War denn 2015 kein millionenfacher Rechtsbruch? Ja, war es und dieses spezielle Thema wäre eine eigene Betrachtung wert. Aber die Kurzversion ist, daß der Rechtsstaat auf subjektiven Rechten von Personen beruht. 2015 wurde irgendwie die allgemeine Rechtsordnung verletzt. Gut, aber wer ist da jetzt klageberechtigt? Bei den Rechten jedes einzelnen der damals Angekommenen, lässt sich das ganz genau sagen. Der Angela Merkel zugeschriebene Satz: „Mir doch egal ob ich schuld bin, jetzt sind sie halt da.“ fasste die Lage perfekt zusammen. Sobald sie da waren, also im Geltungsbereich der bundesdeutschen Rechtsordnung, wurden sie damit zu Rechtspersonen innerhalb ebendieser Rechtsordnung. Die Tatsache, daß sie diesen Status durch einen Rechtsbruch erlangt hatten, spielte dafür keine Rolle. Die Rechtsordnung zersetzt sich dabei selbst. Unter dem Titel „Rechtszersetzung und resiliente Kommunikation“ habe ich mich vor über einem Jahr schon einmal mit der Frage auseinandergesetzt, wie wir damit öffentlich umgehen.
Zwei weiterer ernstzunehmender Einwände wenden sich grundsätzlich gegen die Elitentheorie, welche ich für einen Teil meiner Überlegungen herangezogen habe. Den ersten hat vor allem Martin Sellner stark gemacht. Er erklärt die Elitentheorie für überschätzt, weil sie keine alternative Strategie zum Rechtsgramscianismus und zur Metapolitik geliefert hätte. Tatsächlich ist Elitentheorie für jeden politisch Bewegten erst einmal eine kalte Dusche, weil sie feststellt aus welcher Position man überhaupt politisch handeln kann. Elitenaufbau ist immer schnell gefordert aber sehr schwer umzusetzen. Doch es hilft eben nichts! Wenn eine Gruppe die zur Zeit keine politische Macht hat ein politisches Ziel anstrebt, dann muß man jede Strategie daran messen, ob sie die Frage beantwortet, wie diese Gruppe zu einer jener organisierten Minderheiten werden soll, die tatsächlich Politik machen können. Die Mittel und Methoden, welche unter dem Stichwort Metapolitik zusammengefasst werden, können hier nützlich sein. Aber nicht, wenn man magische Vorstellungen von der Macht der kulturellen Hegemonie im Kopf hat. Daß es freilich genausowenig hilft anstelle der Hypostase „kulturelle Hegemonie“, die Hypostase „Macht“ zu setzen, daß habe ich unter dem Titel „Die Macht macht gar nichts“ bereits gegen Parvini erklärt. Ich bin ein grundsätzlicher Gegner von politischem Schamanismus.
Diese magischen Vorstellungen bringen uns zum zweiten Einwand, den Simon Dettmann folgendermaßen formuliert hat:
„Ein Irrweg ist die Überschätzung der Reichweite und Erklärungskraft der Elitesoziologie aber in erster Linie aus inhaltlichen Gründen. Denn ihre Vertreter ignorieren beharrlich, dass auch für Repräsentanten der herrschenden Klasse gilt, was für Menschen allgemein gilt: Sie sind verstrickt in Wahrnehmungs- und Denkschemata, die Michel Foucault in "Die Ordnung der Dinge" als Episteme bezeichnete. Erst durch die epistemische "Brille" betrachtet wird die empirisch erfahrene Welt überhaupt verständlich. Die gegenseitige Bedingtheit der von allgemeineren Ordnungsschemata gekennzeichneten, weitgehend zeit- und kulturabhängigen Episteme auf der einen, sowie der von spezifischeren Einstellungen geprägten Diskurse, welche die Struktur von Diskursformationen annehmen, auf der anderen Seite, führt bei Foucault zu einem epistemischen infiniten Regress, in dem der Mensch als Akteur und damit als Subjekt seiner selbst verschwindet. Doch so weit muss man Foucault gar nicht folgen, um einzugestehen, dass die Trias aus Episteme, Diskurs und Diskursformation auch das Denken und Handeln der Eliten so stark determiniert, dass es unmöglich ist, sie als autonom oder souverän aufzufassen.“
Nun kann ich mich nicht erinnern, von der Autonomie der Elite geschrieben zu haben. Jedenfalls nicht in dem Sinne, der hier impliziert wird, daß die Elite von der sie umgebenden Welt losgelöst wäre und folglich tun könne was sie wolle, wenn sie nur wollen könne was sie wolle. Im Gegenteil habe ich geschrieben: „Mit der Machtposition kommt nämlich die Position und mit ihr das strukturell bedingte Interesse.“ Damit wende ich mich aber auch gegen die Auffassung für die Dittmann hier das beste Beispiel liefert, nämlich daß Politik allein von rekursiven Meinungen bestimmt sei. Es gibt solche rekursiven Meinungen und sie spielen eine Rolle, aber in diesem Schema aus Episteme, Diskurs und Diskursformation kommt die Wirklichkeit nicht mehr vor.
Diese Wirklichkeit beeinträchtigt aber die politischen Meinungen von Eliten viel stärker als die der normalen Bevölkerung. Für die allermeisten Menschen ist Politik eine andere Form von Fußball. Ob ihre Meinungen dazu valide sind oder nicht, spielt für ihr Leben keine Rolle. Wer tatsächlich Politik macht, erhält hingegen oft schmerzhafte Rückmeldungen von der Wirklichkeit. Das Ergebnis ist alles andere als eine perfekte Fehlerkorrektur, sonst wären wir nicht da, wo wir sind. Aber diese Rückmeldung der Wirklichkeit ist eben vorhanden. Sie kommt damit einher, daß für den Politiker die Politik eben tatsächlich seine Welt ist und nicht eine andere Welt, die nur im Fernseher stattfindet.
Das ist übrigens der Grund, weswegen die metapolitische Machttheorie heute überall in der Rechten kritisiert wird, wo solche Kritik vor zehn, oder vielleicht auch noch vor fünf Jahren, Glasperlenspiele im Elfenbeinturm gewesen wären. Wir sind im Verlauf dieser Jahre, teils durch eigenes Verdienst, teils durch die Umstände, teils durch die Fehler unserer Gegner in eine Lage geraten in der wir zumindest die Finger nach der Macht ausstrecken können. Damit lernen wir auch ihre Grenzen kennen. Die Neue Rechte ist gescheitert, weil sie aus einem Zustand der völligen Ohnmacht entstanden und an diesen angepasst war. Auf die Herausforderungen tatsächlichen Machtbesitzes war sie niemals ausgelegt. Sie hinterlässt aber ein Erbe an Menschen und Institutionen, welche es zu nutzen gilt. Es darf weder im Populismus verschleudert, noch ausgebrannt werden.
Sellner, Martin (2023): Regime Change von Rechts, S.46. In seiner Erklärung dieser Darstellung aus dem Jahr 2023 vermengt Sellner dann die herrschende Ideologie, dann auch mit dem, was man den tiefen Staat nennt, also diejenigen staatlichen, halbstaatlichen und nichtstaatlichen Institutionen, deren Führung nicht gewählt wird und die dadurch gegenüber den gewählten Staatsämtern den Vorteil der Permanenz haben. Der tiefe Staat ist ein Begriff, der sich erst durch die Erfahrung der ersten Präsidentschaft Trump fest etabliert hat. Es ist sehr aufschlußreich für die Entwicklung der Rechten an dieser Stelle zu sehen, aus welcher Zeit die einzelnen Gedanken stammen.